Tochter des Ratsherrn
Verdacht.
Nachdem feststand, dass Johann II. sein Augenlicht auf einer Seite verloren hatte, beschuldigte dieser seinen Vetter, den Angriff auf ihn geplant zu haben. Der Verdacht lag zu nahe, und die offenkundige Missgunst, mit der Gerhard II. seinen beiden Vettern stets begegnete, schürte diese Bedenken. Es entbrannte ein heftiger Streit zwischen den Vettern, der in einem unwiderruflichen Zerwürfnis endete. Kurz darauf reisten Johann II. und sein Bruder Adolf V. überstürzt mitsamt ihrer Gefolgschaft ab.
Das große Fest, welches nicht zuletzt der Versöhnung der verwandten Grafen dienen sollte, hatte genau das Gegenteil bewirkt. Der Frieden im Lande war ernsthaft in Gefahr.
Im Wissen um diese Drangsal hatten sich die drei Grafensöhne jene Eide, welche die Kaufmänner, Bürger und Ratsherren einst ihrem Vater geschworen hatten, früher als erwartet erneut schwören lassen.
Auch Thiderich und Albert waren vor die Grafen getreten, um den Landesherren im Rathaus ihre Treue zu geloben. Nachdem jeder entsprechende Mann diesen Schwur erneuert hatte, war es an den Grafen, ihren Eid der Stadt gegenüber zu bestätigen. Doch auch wenn die Worte über Sicherheit und Ehre laut und deutlich durch das Rathaus hallten, schenkte niemand unter den Anwesenden ihnen Glauben. Zu tief saß die Erinnerung an den verstorbenen Landesherrn, der die Stadt bloß geschröpft hatte, statt sie zu schützen.
Dennoch brachte der Tag der Eiderneuerung auch ein Stück Klarheit mit sich. Endlich erhielten die Kaufleute Kunde über die Verteilung der Einkünfte, so auch Albert und Thiderich. Ihr Handel mit friesischem Holz war im Laufe der Jahre so ertragreich geworden, dass es Graf Gerhard II. viel gekostet haben musste, die Einkünfte für sich allein zu beanspruchen. Von nun an stand fest, wem sie künftig ihre Münzen schuldig waren.
Doch es gab noch weitere Neuerungen für die Kaufleute. All diejenigen, welche wie Albert und Thiderich gemeinsam einen Handel führten, mussten den Grafen zusätzlich geloben, dass jeder von ihnen für den anderen zu bürgen bereit war. Diese Bestimmung zeigte deutlich, wie dringend die Fürsten auf die Einkünfte Hamburgs angewiesen waren und wie sehr sie befürchteten, ihren Einfluss zu verlieren.
Und obwohl die Hamburger durch diese Neuigkeit bereits genug verärgert waren, scheuten die Grafen nicht davor zurück, noch weitere Forderungen zu stellen. Die Abgaben der Bürger an die Söhne Gerhards I. wurden kurzerhand erhöht und die gesamten Kosten für das Fest im Kunzenhof dem Rat vorgelegt.
5
Runa hätte etwas so Blasphemisches niemals laut ausgesprochen, doch sie war dieses Jahr tatsächlich froh darüber, dass die Weihnachtsfeierlichkeiten nun vorbei waren. Ihr Bauch wies bislang zwar kaum eine Wölbung auf, trotzdem fiel ihr jede Bewegung schwer, und sie kämpfte mit immerwährender Übelkeit. Das lange Beten in der klirrend kalten Petri-Kirche war eine Qual für sie gewesen und ebenso das Krippenspiel. Gerade jetzt, da ihre Magd ausgefallen war, musste es ihr so schlecht gehen!
Agnes war zwar mittlerweile wieder erwacht, wie Kethe ihr erzählt hatte, doch es würde wahrscheinlich noch einige Zeit dauern, bis sie in Runas Dienste zurückkehren konnte. Die Wunden an ihren Beinen heilten nur langsam und bereiteten ihr noch immer große Schmerzen.
Schon seit einer ganzen Weile wohnte Marga nun in Runas Haus, um ihr zur Hand zu gehen, doch das konnte nicht für alle Zeit so bleiben. Ihre Mutter war nicht mehr jung, und die Magd fehlte ihr im Haus, das wusste Runa. Doch zumindest für die nächsten Wochen war das Problem gelöst, denn vor zwei Tagen hatte Ragnhild eine Frau bei sich eingestellt, die während einer Pilgerreise in Hamburg eingetroffen war. Ihr Gemahl war bei einem der räuberischen Überfälle rund um die Stadt ums Leben gekommen. Nun musste sie sich alleine verdingen, bis der Schnee geschmolzen war und sie im Frühjahr endlich in ihre Heimat zurückkehren konnte.
Normalerweise hätte Ragnhild eine völlig Fremde nicht bei sich aufgenommen, doch in diesem Fall war es anders. Die Frau war eine Dänin – genau wie Ragnhild selbst. Sie fühlte sich dazu verpflichtet, ihr zu helfen, konnte sie doch nur allzu gut nachvollziehen, wie man sich als Dänin in dieser Stadt fühlte.
In ein paar Wochen allerdings würde Ylva wieder fort sein, das wusste Runa, und bis dahin wollte sie eine andere Magd gefunden haben. In den ersten Tagen nach dem schrecklichen Unfall hatte es ihr davor gegraut,
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