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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Sanriku-Küste entfernte und an der Halbinsel vorbeikam. Tatsächlich waren die Wellen beachtlich. Der Boden schaukelte, und alle Scharniere knarrten und quietschten. Zum Glück wurde ich nicht seekrank. Der Motor tuckerte schnell und regelmäßig, es brummte in unseren Ohren. Der Rauch aus dem Schornstein wurde nach unten gedrückt, und es roch ziemlich stark nach Treibstoff. Backbord zog die Küste vorüber; wir fuhren an zahlreichen Fischerbooten vorbei, blickten auf den kleiner
werdenden Hafen von Ishinomaki mit seinen zahlreichen Kränen und Bootswerften. Die Sonne stieg, jetzt leuchteten die Berge golden, und der Himmel über dem Meer war blau wie ein Saphir.
    Â»Wer wohnt eigentlich auf der Insel?«, fragte ich Mia.
    Â»Ach, die meisten sind Schiffsleute von der Genossenschaft oder Fischer. Austern und Abalone sind ihre wichtigsten Einnahmequellen. Die Inselbewohner gelten auch als gute Bootsbauer. Die Fischer haben  – wie alle Fischer  – für das Land nichts übrig. Irgendwann kamen Bauern, stellten fest, dass hier alles gut gedieh, und bestellten die Felder. Wichtig waren die Maulbeerhaine. In der Edo-Zeit wurden auf der Insel Seidenraupen gezüchtet. Die Tashiro-Jima -Seide war berühmt. Die Eltern von Onkel Matsuos verstorbener Frau Keiko beschäftigten über fünfzig Weber.«
    Â»Und was gibt es sonst noch auf der Insel?«
    Â»Nicht mehr viel. Ein Leuchtturm, eine Krankenstation, eine Poststelle, ein oder zwei Lebensmittelgeschäfte. Keine Schule. Die Grundschule befindet sich in Ishinomaki.«
    Â»Zweimal vierzig Minuten jeden Tag«, meinte ich, »das ist auf die Dauer recht anstrengend.«
    Â»Darum leben auch kaum junge Familien dort. Das ist eigentlich schade. Tashiro-Jima ist eine Insel für alte Leute geworden.«
    Â»Mit wie vielen Bewohnern?«
    Â»Ungefähr achtzig, denke ich. Wenn diese Alten sterben, fehlen sie natürlich, aber ich weiß nicht, ob Leute aus dem Festland sie ersetzen. Eines Tages wird die Insel nur den Katzen gehören.«
    Â»Den Katzen?«
    Ich starrte sie perplex an. Sie lachte hell auf.
    Â»Hast du das nicht gewusst? Tashiro-Jima wird auch die ›Katzeninsel‹ genannt. Ich glaube, es gibt mehr Katzen auf
der Insel als Bewohner. Die haben es gut! Sie werden von allen Leuten verhätschelt.«
    Â»Was machen denn Katzen auf der Insel?«, fragte ich, meinte aber eigentlich: Wie sind sie überhaupt dorthin gekommen?
    Â»Oh, die Katzen waren sehr nützlich, um die Mäuse zu fangen, die sich an den Seidenraupen vergriffen. Auch die Fischer und Landwirte waren dankbar, dass die Katzen die Mäuse fernhielten. Aber im Laufe der Zeit ging die Seidenproduktion zurück, und heute existiert sie gar nicht mehr.«
    Ich musste an Mafalda denken, die nie eine Maus gefressen hatte. Ach, meine zärtliche Mafalda, die mich so schnöde im Stich gelassen hatte!
    Â»Wie behandeln die Leute hier ihre Katzen?«, fragte ich.
    In Südeuropa hatte ich oft verwahrloste Katzen gesehen, entzückende kleine Tiere manchmal, die ich am liebsten mitgenommen und aufgepäppelt hätte, mit Hühnerfleisch und Leberwurst, was praktisch ja nicht machbar war (waren die Katzen nicht gegen Würmer geimpft, wurden sie am Zoll festgehalten). Die Welt war eben brutal.
    Â»Oh, die Bewohner von Tashiro-Jima lieben ihre Katzen sehr«, antwortete Mia zu meiner Erleichterung. »Sie gelten als Glücksbringer. Und im Sommer kommen viele Touristen, um die Katzen zu sehen und ihnen Leckereien mitzubringen. Den Katzen gefällt das natürlich. Die Touristen fotografieren auch die Katzenhäuser.«
    Â»Wer kam auf den Gedanken«, fragte ich, »Häuser für die Katzen zu bauen?«
    Ich meinte, dass Katzen unter Umständen das wohl zu schätzen wüssten. Ein ganzes Haus nur für sie. Doch Mia blinzelte vergnügt.
    Â»Du hast mich falsch verstanden. Die Häuser sind für die Leute!«

    Â»Wie bitte?«
    Â»Nun, zwei oder drei Bewohner fanden es originell, auf dieser Insel in einem Haus in Katzenform zu wohnen: hoch und schmal, mit zwei Spitzen am Dach, die an Katzenohren erinnern. So!«
    Sie hob zwei Finger an die Stirn und machte es mir vor.
    Â»Passt doch perfekt in die Landschaft, oder? Die Touristen finden es jedenfalls entzückend.«
    Â»Und ich stelle fest, dass die Japaner einen unverbesserlichen Hang zu Spielereien haben.«
    Â»Wer

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