Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
habe. Ich bin etwas durcheinander, weißt du. Aber sofern du das Wesentliche davon verstanden hast …«
    Â»Alles habe ich verstanden«, sagte ich, vollkommen unaufrichtig. »Jedes Wort.«

    Tatsache war, dass alles, was sie sagte, mir zu Herzen ging. Auch die Art, wie sie den Kopf auf dem langen Hals bewegte, wie sie lächelte, ging mir zu Herzen. Sie war müde und schloss hin und wieder die Augen. Und weil ich sie so intensiv betrachtete, glaubte ich auf einmal, plötzlich in ihr noch etwas anderes zu sehen, was ich nicht benennen konnte, etwas Kostbares, Verletzliches. Unter ihrem Selbstbewusstsein kam bisweilen ein anderes Gesicht zum Vorschein, das noch irgendwie im Halbschlaf zu liegen schien und dessen Ausdruck, sobald sie sich bewegte, auf herzergreifende Art wechselte. Und plötzlich kam mir in den Sinn, dass es nichts anderes war als gut gehütete Einsamkeit, und die jetzt mit einem Mal, weil sie mir vertraute, von ihr abfiel, wie eine Last, die zu schwer war, um sie noch lange tragen zu können. Ich hatte ihr diese Last jetzt abgenommen, sie fühlte sich davon befreit, aber diese Leichtigkeit war für sie ungewohnt. Über ihrer ganzen Person lag Zurückhaltung, und doch war ihr Wesen schon erfüllt von den Verheißungen des Vertrauens, und dieser Zwiespalt übte einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus. Ich streckte mich auf dem Futon aus, umfasste sie mit beiden Armen, zog sie eng an mich. Ich begehrte sie sehr, ließ meine Finger durch ihr langes, federndes Haar gleiten, streichelte ihren nackten, warmen Körper unter der Yukata. Doch sie sagte mit leiser Kleinmädchenstimme: »Nicht heute Abend, Rainer … Bitte! Halte mich einfach nur fest…«
    Auch das, dachte ich, gehört dazu. Und so hielt ich sie nur behutsam in den Armen, bis ihr Atem regelmäßig ging. Doch auch mir war seltsam zumute. Ich lag lange wach, hörte die verschiedenen Geräusche, die von draußen kamen. Im Nebenzimmer lagen zwei alte Leute  – ich hatte sie sprechen gehört  –, jetzt schnarchten beide. Vielleicht, dachte ich, werden Mia und ich in vierzig Jahren auch unisono schnarchen.
Aber das störte mich nicht; geteiltes Schnarchen ist kein Schnarchen mehr und zeugt obendrein von Vertrauen. Auch diese beiden alten Leute, dachte ich, haben erlebt, wie der Sex flauer wird. Sie sind Freunde geblieben und werden es sein, bis sie sterben, wobei jeder für sich hofft, nicht derjenige zu sein, der übrig bleibt. So war das Leben, brutal auf das Ende vorprogrammiert. Und ich konnte mir gut vorstellen, dass Mia, die so ruhig atmete, eines Tages neben mir schnarchen würde. Ja, aber warum konnte ich nicht schlafen? Der Futon war bequem, es war spät, und draußen fuhren kaum noch Autos vorbei. Bilder und Szenen tauchten auf, ich ließ sie vorbeiziehen. In den Nachtstunden tut das Gehirn, was es will. Ich hatte Gedanken, immer die gleichen, in endlosen Kreisen. Hinter meinen Augenlidern zogen seltsame Farben vorbei, manchmal blutrot, manchmal in dunklen Schichten. Dazu hörte ich ungewohnte Töne, als ob ein verrückt gewordener Cellist hektisch mit dem Bogen auf seinem Instrument kratzte. Trotz der Kopfschmerzen musste ich eingeduselt sein, denn plötzlich schreckte ich hoch und hörte, wie Hunde jaulten. Das erinnerte mich an Afrika, wo streunende Hunde jede Nacht heulten und bellten, aber es war eine Geräuschkulisse, die nicht nach Japan passte. Alle Tiere lebten hier wohlbehütet, hatten immer genug zu fressen, viel zu viel sogar, sodass sie fett wurden. Und doch schienen alle Hunde wach und benahmen sich wie toll. Vielleicht, weil der Frühling kommt, dachte ich. Allmählich kehrte wieder Stille ein. Ich schlief eine Zeit lang. Dann wurde ich abermals wach, der Tag brach an, und ich hörte Hähne krähen, alle gleichzeitig. Vögel kreischten wie verrückt  – in der Nähe, in der Ferne, überall. Wo war ich hier eigentlich gelandet? In einem Zoo? Fehlte jetzt nur noch, dass Paviane schnatterten. Ich sah auf die Leuchtziffer meiner Uhr: halb sechs. Auf einmal hörte ich ein dumpfes Grollen, der Boden erzitterte, und die Fensterscheiben
klirrten. Im Haus hörte ich Stimmen eben erwachter Menschen. Ein Erdbeben! Mia, neben mir, stöhnte leise, ihre Augen schimmerten unter den flatternden Lidern. Gerade wollte ich sie wachrütteln, als die Erde wieder zur Ruhe kam. Ich wartete

Weitere Kostenlose Bücher