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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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verstanden. Vielleicht war ich zu borniert? Die Inselbewohner jedenfalls schienen besorgt. Das Gehör der Katzen erreichte einen Frequenzbereich von über 500 Hertz. Es war, als ob sie unheimliche Geräuschwellen empfingen, die wir nicht spüren konnten. Ein Nachbeben, und sogar ein recht starkes, vermutete
ich. Ja, was sollte ich tun? Ich sah wieder auf die Uhr. Gleich würde die Fähre anlegen. Japaner waren Erdbeben gewöhnt, ich nicht. Wenn schon etwas Schlimmes passierte, wollte ich meine Papiere wiederhaben, und sei es nur, damit Mutter später meine Leiche identifizieren konnte. Eine idiotische Überlegung, zweifellos, nicht einmal mehr lustig, aber die Stimmung war mir wirklich nicht geheuer. Also machte ich mich auf den Weg zum Hafen, wobei mir wieder einige Katzen begegneten, die ausnahmslos alle in entgegengesetzter Richtung liefen, als ob sie ihr Ziel genau kannten. Das war auf keinen Fall normal. Doch von der Wegbiegung aus konnte ich schon die kleine Hafenanlage und den Deich überblicken. Eine Anzahl Leute warteten auf die Fähre, die schon in Sicht war. Alles doch normal? Das Meer war ruhig, die Wellen schaukelten langsam und mächtig. Ich sah auf die Uhr. Die Fähre hatte etwas Verspätung, stellte ich fest. Es war seltsam windstill; der Himmel war von gespannter, gläserner Härte, nur in der Ferne türmte sich eine Wolkenbank auf. Und als ob das alles noch nicht genug war, erfüllten auf einmal gellende Schreie die Luft. Der wachsende Lärm bohrte sich in meinen Kopf wie Nadelstiche. Ich hob die Augen, sah in großer Höhe Vögel, eine Wolke von Vögeln, die alle landeinwärts flogen. Ihre Schreie klangen ohrenbetäubend. Die wartenden Leute blickten auch empor, manche neugierig, andere besorgt. Mein Kopf brummte, im Magen war mir flau. Hatsues Essen schien mir nicht bekommen zu sein. Und wahrscheinlich gab es kein Erdbeben, sondern ein Sturm kündigte sich an. Der allerdings musste ziemlich heftig werden, wenn er alle Tiere verrückt machte. Zum Glück gab es hier keine Hunde, sonst hätten die auch noch gejault. Ob die Fähre bei Sturmwetter aus dem Hafen auslief? Wahrscheinlich nicht. Es konnte sein, dass wir hier die Nacht verbringen mussten. Schlimm war das nicht, im Haus war genug Platz.

    Aber die Wolken hatten eine komische Farbe, eine wirklich komische Farbe … Und da rumpelte der Boden unter meinen Füßen, sodass ich das Gleichgewicht verlor, ein paar Schritte zurücktaumelte und fassungslos auf die Spalte starrte, die sich dort auftat, wo ich einen Atemzug zuvor gestanden hatte. Sie war nicht sehr breit, aber ein großes Stück Asphalt war zersplittert. Ich hörte, dass die Menschen einander irgendwas zuriefen. Sie wussten offenbar nicht, was sie machen sollten, versuchten davonzulaufen oder Laufende aufzuhalten. Wieder rollte die Erde unter mir, hob sich und schwankte hin und her, als ob der Asphalt sich plötzlich verflüssigt hätte. Der Hafen stand mit einem Mal schief, obwohl das nicht sein konnte. Ich stürzte zu Boden, hockte auf Händen und Knien, krallte mich fest. Ein gewaltiges, dumpfes Getöse kam von allen Seiten, ein Donnergrollen wie bei einem Gewitter. Meine Finger klammerten sich an die Steine, die sich hin und her bewegten, wie etwas Lebendiges zuckten. Der Boden kam mit ächzendem Knarren hoch, das Donnergetöse war noch lauter als die Schreckensschreie, lauter als das Krachen einstürzender Wände und Dächer, während Blechplatten einfach eingerollt wurden wie Zwiebelschalen und Fischerboote, seitwärts hochgehoben, an der Hafenwand zerschellten. Scheiben knallten aus ihren Rahmen, das Glas explodierte, flog und splitterte. Der Beton der Hafengebäude begann in dicken Klumpen herunterzukrachen. Es dauerte endlos; irgendwer schrie und jammerte auf stupide Art. Das Jammern ging mir durch Mark und Bein: Es war mein eigenes. Dann beruhigte sich die Erde, doch nur für eine Sekunde oder zwei, bevor es erneut losging, entwurzelte Bäume sich wie im Zeitlupentempo freirissen und wieder auf den Boden krachten, während Steine und Trümmer um mich herum einen wilden Tanz aufführten. Es war, als habe die ganze Insel sich gehoben, die Schiffe an der Werft zersplittert und die Hafenanlage
einfach in Brei verwandelt. Als sich das Dröhnen allmählich beruhigte, vernahm ich das Geschrei von Kindern, die vor Angst fast toll waren, von Menschen, die einander

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