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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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riefen oder um Hilfe schrien. Noch stürzten Planken ein, umgeworfene oder zerbrochene Gegenstände schepperten und polterten. Große Steinblöcke, die sich aus der Mole gelöst hatten, rumpelten auseinander. Später wurde uns gesagt, die Erde hätte fast fünf Minuten lang ununterbrochen gebebt. Mir war der Albtraum viel länger vorgekommen, der längste und schrecklichste Albtraum meines Lebens. Endlich konnte ich mich hochrappeln, ohne dass ich gleich wieder umfiel, kam mühsam auf die Beine. Meine Augen waren voller Sand und Staub. Ich war voller Prellungen, mein ganzer Körper schmerzte wie nach jenem Motorradunfall, bei dem ich als Neunzehnjähriger in einer Baustelle gelandet war. Benommen sah ich mich um. Der Hafen glich einem Trümmerfeld, auf das die Wracks der Fischerboote geschwemmt worden waren. Der Boden war bedeckt mit einem Wirrwarr von Mattenresten, umgekippten Mülltonnen, Benzinbehältern. Freigelegte Gasleitungen bildeten seltsame Spaghettiknäuel, und Kanalisationsrohre waren senkrecht aus dem Boden geschossen. Säulenartig standen sie da, wie skurrile Werke zeitgenössischer Kunst. Fast alle Gebäude waren eingestürzt, die Betonwände wurden nur von eingeknickten Eisenstäben gehalten. Der Geruch nach Fisch und Benzin verursachte mir Übelkeit. Mir kam das Essen hoch, ich lehnte mich an ein Mauerstück, das schief stand, und übergab mich. Ich würgte und spuckte, die Nässe tropfte mir aus Nase und Augen. Ich spürte den säuerlichen Geschmack des Erbrochenen im Mund, wühlte in meiner Jacke, brachte ein Taschentuch zum Vorschein, mit dem ich mir die Nase putzte und mir den bitteren Speichel von den Lippen wischte. Mein Kopf war jetzt wieder klar geworden, doch das Erdbeben hatte mich derart verstört, dass
mir erst jetzt der Gedanke an sie, an Mia kam! Oh, Gott, war sie überhaupt noch am Leben? Ich begann wie ein Irrer zu laufen, aber wo noch kurz zuvor der Weg war, häuften sich jetzt nur noch Trümmer. Die ganze Insel war anders als noch Minuten zuvor, ich erkannte nichts wieder. Unter mir rumpelte und ächzte immer noch die Erde. Manchmal bebte sie stärker, sodass ich in den Schutt fiel, auf Händen und Knien weiterkroch, bevor ich taumelnd aufstand und wieder zu laufen anfing. Wo war ich jetzt? Hinter einer Kurve änderte der Weg seine Richtung zur See hin, und jetzt fegte mir mit voller Wucht der Wind entgegen. Blindlings tapste ich vorwärts. Ich hatte noch nie einen solchen Sturm erlebt. Ich taumelte hin und her, konnte mich kaum auf den Beinen halten. Ein schwarzer Gegenstand kam geflogen, ich spürte so etwas wie einen Peitschenschlag, hörte ein Krachen, ein dumpfer Schmerz durchzuckte meinen Kopf. Mit dem Gefühl, dass die Hälfte meiner Stirn schief hing, hob ich die Hand an die schmerzende Stelle, sah das Blut auf meine Jacke tropfen. Das rote, klebrige Zeug vor den Augen nahm mir die Sicht. Ich verlor die Orientierung, dachte jedoch, solange der Weg anstieg, musste die Richtung irgendwie stimmen. Ich sah die Welt wie durch einen roten Schleier, und mit der Landschaft tat sich Seltsames, alles schien vor meinen Augen zu schaukeln. Ich stolperte weiter, so eigensinnig, wie ich mein ganzes Leben lang in allen Dingen gewesen war, hatte unentwegt Mia im Kopf. Wahrscheinlich war hier die Ortschaft, aber ich sah nur Trümmerhaufen und einige Gestalten, die ebenso verstört wie ich durch das Chaos irrten. Endlich erreichte ich den Straßenteil, von dem aus man den Hafen überblicken konnte. Hier konnte ich die Entfernung abschätzen und endlich herausfinden, wo ich war. Ich wischte mir das Blut aus dem Gesicht, wandte mich um und erstarrte vor Schreck. Denn ich sah mit bloßen Augen, wie das Wasser sich zurückzog,
den Meeresboden mit seinem Schlick, Tang und vermoderten Schiffstrümmern freigab. Es war, als verlasse das Meer, von einem gewaltigen Sog getrieben, die Küste. Um Himmels willen, ich wusste, was das bedeutete! Das Meer würde wiederkommen und alles überschwemmen. Und gleichzeitig entdeckte ich in weiter Entfernung die Fähre, die ja vor dem Erdbeben fast schon im Hafen gewesen war. Jetzt hatte die ungeheure Strömung sie erfasst, zerrte sie zurück zum Festland. Und viele andere Boote, größere und kleinere, auch. Die Besatzungen konnten nichts machen, hatten keine Gewalt mehr über die Schiffe, die einfach mitgezogen wurden. Im selben Augenblick

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