Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
zu. Ich verstand: Die Brieftasche war gefunden worden und wartete in sicheren Händen auf mich. Man wusste ja, dass ich die Insel mit der gleichen Fähre wieder verlassen würde. Wann das Schiff ankam, fragte Onkel Matsuo. Nun, die Fähre würde in genau fünf Minuten aus dem Hafen von Ishinomaki auslaufen und pünktlich vierzig Minuten später auf der Insel eintreffen. Ich atmete erleichtert auf und ließ dem Besatzungsmann ausrichten, dass ich schnell zum Pier kommen würde, um die Brieftasche zu holen.
    Matsuo schaltete sein Handy aus und nickte mir zufrieden zu. »Ende gut, alles gut! Und lassen Sie sich den Aal schmecken!« Doch Hatsue war immer noch nicht beruhigt.
    Â»Ich verstehe wirklich nicht, warum die Miezen nichts wollen. Dabei lieben sie Unagi über alles.«
    Die Katzen liefen vor der Tür hin und her, maunzten und schlugen heftig mit dem Schwanz.
    Â»So habe ich diese beiden noch nie gesehen«, murmelte Matsuo, bevor er sich seinem Essen zuwandte. Inzwischen erzählten Mia und ich, dass wir heiraten wollten. Es war ein gutes Gefühl, darüber zu reden. Die beiden alten Leute waren gerührt, wie alte Menschen es immer sind, wenn Jüngere von ihren Plänen erzählen.
    Â»Obwohl wir alt sind«, sagte der Onkel »bewegen uns noch immer die Ideale der Jugend. Trotz der Dinge, die Himmel und Erde bewegen, ist die Jugend voller Zuversicht. Ich bin
über neunzig und  – nein  – ich habe im Leben keinerlei Gesetzmäßigkeit entdeckt, außer Geburt und Wachstum, Verfall und Tod. Es ist schön, wenn man sich miteinander freut und die Gegenwart zu schätzen weiß. Die Zukunft kann unerwartet schnell da sein und die Menschen auf die Probe stellen. Nun, ich wünsche Euch viel Glück, weil ihr bisher nicht nur Sonnenschein, sondern auch Schatten gekannt habt. Was nun die Frage betrifft, wer ihr heute seid, im Unterschied zu gestern …«
    Er zuckte mit den Schultern, ließ den Satz in der Schwebe, gewissermaßen als Aufforderung für uns, darüber nachzudenken. Er sprach geruhsam und absatzweise zwischen Zuhören und Essen (er kaute jeden Bissen sehr lange). Was er erzählte, ein wenig moralisierend, war genau richtig für mein sentimentales Gemüt, doch Mia sagte mir mit den Augen: »Er zerredet doch gleich immer alles!«
    Als wir die Mahlzeit beendet hatten, bat Matsuo um die Erlaubnis, eine Zigarette zu rauchen.
    Â»Ein kleines Laster muss man ja haben. Außerdem rauche ich nur eine ganz leichte Sorte. Hatsue protestiert, wenn das ganze Haus stinkt.«
    Sie verneinte lachend und wedelte mit der Hand.
    Â»Nein, nein, mir würde es nichts ausmachen! Es sind die Katzen, die den Tabakgeruch nicht mögen.«
    Ich sah auf die Uhr. Bald kam die Fähre, und ich würde mich eindeutig wohler fühlen, wenn ich die Brieftasche wieder hatte. Ich machte eine »Entschuldigen-Sie-mich-Verbeugung«, platzierte meine Beine seitwärts und erhob mich.
    Â»Ich bin gleich wieder da!«
    Matsuo nickte mir zu.
    Â»Ich rauche meine Zigarette zu Ende. Und sobald du zurück bist, gehen wir in mein Büro und sehen uns die Schriftrolle an. Mia kann es ja kaum abwarten!«

    Â»Oh ja!«, rief Mia, »ich bin furchtbar gespannt.«
    Â»Wir wissen, dass du keine Geduld hast«, sagte der alte Onkel bedächtig.
    Mia lachte ein wenig verlegen. Sie griff nach ihrem Teebecher, stieß aber etwas ungeschickt dagegen, sodass der Becher umkippte. Der Rest Tee floss über das Tischtuch.
    Â»Oh, oh, oh!«, jammerte Mia. Sie wollte aufspringen, doch Hatsue hielt sie lachend zurück.
    Â»Warte, bleib sitzen! Ich mache das schon!« Sie lief in die Küche und kam mit einem Wischtuch zurück. Inzwischen stapelte Mia die kleinen Schalen und Schüsseln auf.
    Â»Es tut mir ja so leid, dass ich so ungeschickt bin!« Onkel Matsuo schmunzelte nur und sagte ungerührt: »Das liegt in der Familie. Deine Mutter  – meine Nichte  – hat auch alles umgeworfen.«
    Ich verbiss mir ein Grinsen, ging zum Eingang und band mir die Schuhe. Jetzt kamen auch die Katzen wieder hervor. Wieder regte sich in mir die Erinnerung an Mafalda. Ich streckte die Hand aus, und  – oh Wunder!  – sie ließen sich endlich streicheln. Doch sehr widerstrebend, wie mir schien, und ihr Maunzen dabei löste eine fast magnetische Empfindung in mir aus, die mich betroffen

Weitere Kostenlose Bücher