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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Atemzüge und meinen eigenen Herzschlag. Mia war plötzlich stehen geblieben, hielt mich aber immer noch umfasst. Und weil ich nicht alleine laufen konnte, blieb ich auch stehen, blickte in die Richtung, in die Mia und alle anderen starrten. Zunächst konnte ich nichts erkennen. Erst als ich mir das Blut aus den Augen wischte, sah ich die anrollende Welle. Sie wuchs vom Horizont her, eine riesige Schaumwand, so weit das Auge reichte. In einem mächtigen, weiß blitzenden Sog rollte sie landeinwärts, und dahinter war eine baumhohe schwarze Wand, die wie Pechkohle glänzte. Mit rasender Geschwindigkeit kam
die Welle näher und verdunkelte den Himmel. Sie schlug an die Insel, dass der Boden bebte, überspülte den Hafen, hob die Schiffe wie Spielzeuge. Von unserem Aussichtspunkt sahen wir die aufgewühlte Meeresfläche und einen schaumarmigen Strudel, der sich in ungeheuren Kreisen drehte. Und die Schiffe kreisten mit dem Wasser, wurden von den Wogen hin und her geworfen. Sie legten sich auf die Seite, unfähig, gegen die Kraft des Wassers anzukämpfen, gingen in den Wellentälern unter, kamen wieder hoch. Unterhalb des Hügels, wo wir Zuflucht gefunden hatten, strömte der Pazifische Ozean über Straßen, Häuser und Gärten. Das Wasser schaukelte ein wenig, schien zu zögern, als wollte es sich zurückziehen, kam aber wieder mit neuer Gewalt, türmte sich auf und rollte dann mit ungebrochener Kraft der Küste entgegen. Mein Schädel pochte und brummte, ich hatte ein kaltes, ekelhaftes Gefühl im Bauch, und mir wurde schwindlig. Das alles war nicht wahr, konnte einfach nicht wahr sein. Ich musste wohl träumen, gleich würde ich aufwachen, und alles war gut. Mia war ja da, hielt mich fest, und solange Mia bei mir war, konnte uns nichts Schlimmes passieren. Ich versuchte mich auf den Beinen zu halten, aber die Knie gaben unter mir nach. Ich wollte nichts, nur weiterschlafen, bis es Tag wurde und ich in einer Welt erwachte, die sonnig und ruhig und normal war. Mia versuchte mich zu halten, aber ich hing mit meinem ganzen Gewicht in ihren Armen, und sie schaffte es nicht mehr. Schließlich kippte ich schwerfällig seitwärts, und dann endlich war es vorbei. Ich ließ mich fallen und fiel in einen erlösenden, schmerzfreien Schlaf.

33. Kapitel
    I ch hatte gedacht, dass ich geschlafen hätte, aber in Wirklichkeit war ich ohnmächtig geworden, vermutlich nicht für lange. Als ich erwachte, sah ich zwischen den schaukelnden Baumkronen, dass der Himmel fast schwarz war. Die eiskalte Luft, mit Schneeflocken vermischt, schien in wirbelnde Bewegung geraten. Mein erster bewusster Gedanke war: Was um Himmels willen mache ich hier draußen im Freien? Warum bin ich nicht in meinem Bett? Um mich herum gab es Geräusche, beunruhigende, schreckliche Geräusche, Schreie und Weinen von Kindern, das Rauschen von Wellen, die ganz nahe waren. Jemand tupfte mein Gesicht mit einem blutgetränkten Taschentuch ab. Mia. Ich richtete mich auf, so gut ich konnte, warf beide Arme um sie, zog mich an ihr hoch, wobei ich sie gleichzeitig umarmte. Sie zitterte am ganzen Körper, schluchzte leise, tränenlos.
    Â»Tsunami«, hörte ich sie stammeln. Unglaubliche, schreckliche Bilder zogen vor meinem inneren Auge vorbei. Mein Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt, und auf dem rechten Ohr war ich fast taub. Ich schluckte schwer. Es gab ein furchtbares Knacken in meinem Trommelfell. Der Schmerz durchzuckte meinen Kopf wie ein Messerstich. Ich fiel wieder zurück. Alles drehte sich vor meinen Augen.
    Â»Du siehst ziemlich furchtbar aus«, sagte Mia. »Bleib liegen!«
    Die Leute, die in kleinen, erschreckten Gruppen unter den
Bäumen kauerten, hielten ihre Handys ans Ohr, riefen einander Nachrichten zu. Offenbar hatten längst nicht alle Empfang. Wirre, entsetzte Stimmen überschlugen sich. Ich hatte mal Japanisch gekonnt. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass ich überhaupt nichts mehr verstand. Plötzlich vernahm ich dicht neben mir ein ersticktes Stöhnen. Ich drehte mich mühsam in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sah Hatsue. Sie lag ganz ruhig, Schweißtropfen auf der Stirn. Ihre Lider zuckten, als unsere Augen sich begegneten.
    Â»Es geht schon …«, murmelte sie.
    Â»Sie ist in eine Spalte gefallen«, sagte Mia. »Eine offene Fraktur. Schien- und Wadenbein scheinen gebrochen.«
    Ich blickte an Hatsue

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