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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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möglich ein Zimmer suchen. Aber da musst du mir behilflich sein. In Japan kann ich keine Inserate lesen. Zumindest nicht am Anfang.«
    Sie rieb ihre Wange an meine Schulter.
    Â»Mir kommt gerade in den Sinn, dass ich vielleicht eine Unterkunft für dich habe.«
    Ich dachte, womöglich bei ihr zu Hause, und blickte erwartungsvoll in ihre glitzernden Augen. Doch sie sagte: »Tante Azai kann ihr Haus nicht verkaufen, weil es unter Denkmalschutz steht. Eines Tages soll ein Museum daraus werden. Aber im Augenblick wohnt dort niemand. Tante Azai wird vermutlich nichts dagegen haben, es dir zu vermieten. Sie bezieht nur eine geringe Rente, lebt in einem Altersheim und gibt viel Geld für Schokolade aus. Aber sie ist nicht mit jedem Mieter einverstanden, das kannst du dir ja wohl vorstellen.«
    Allerdings konnte ich es mir vorstellen.
    Â»Was meinst du? Habe ich eine Chance?«
    Sie hob weich die Schultern.
    Â»Keine Ahnung. Könnte sein.«

    Â»Hilft es, wenn ich ihr Schokolade mitbringe?«
    Â»Es könnte nützlich sein.«
    Â»Und Printen?«
    Â»Oh ja, noch besser! Die kennt sie nämlich nicht.«
    Â»Gut. Dann also auch Aachener Printen.«
    Â»Darüber hinaus«, sagte Mia, »darfst du nicht zu hohe Ansprüche stellen. Das Haus ist ziemlich unmodern, da muss ich dich warnen.«
    Â»Für einen Schriftsteller ist es doch genau der richtige Ort!«
    Sie sah mich an, herzlich zweifelnd.
    Â»Ach, glaubst du das wirklich?«
    Â»Sicher«, sagte ich. »Ich habe Lust auf ein Haus, das so richtig unmodern ist.«
    Mia wirkte nach wie vor skeptisch.
    Â»Na gut, dann lass dich mal überraschen.«
    Sie müsse, führte ich aus, die Sache auch einmal mit den Augen eines  – zukünftigen  – Schriftstellers ansehen. Ach, wie reizvoll, wie abwegig, ein Buch in einem alten japanischen Haus zu schreiben! Als bedürfe es dieses Rahmens, um das Luftgebilde der Gedanken in Worte zu kleiden. Denn das Buch musste geschrieben werden, es war einfach nicht mehr zu umgehen. Irgendwo führte ein Weg dahin zurück, wo aus der Fuge zwischen Instinkt und Vernunft die Erscheinungen entstanden, die Vorformen der Schatten, die uns und unsere Nachkommen prägten.
    Ich versuchte das Mia verständlich zu machen, drückte mich dabei recht schwülstig aus. Ich war nie in der Lage gewesen, komplizierte Dinge einfach zu erklären. Und wenn ich von eine Sache keine Ahnung hatte, tat ich, als ob. Das imponierte den Studenten. Aber imponierte es auch Mia? Sie schenkte mir wie stets ihre volle Aufmerksamkeit. Ihre dunklen Augen, in denen das Abendlicht wie kleine Funken
flackerte, waren unverwandt auf mich gerichtet. Auf einmal hatte ich das peinliche Gefühl, dass sie mich durchschaute und nicht ganz ernst nahm.
    Â»Und bisher hast du das alles für dich behalten?«
    Â»Ich habe das irgendwo in mich reingestopft«, sagte ich.
    Â»Und jetzt?«
    Â»Jetzt muss es irgendwie raus!«
    Â»Und was genau wirst du tun?«
    Â»Mein Leben neu ordnen. Was denn sonst?«
    Schalk leuchtete in ihrem Blick auf.
    Â»Also, wenn es so ist … Vielleicht war es ja gut, dass ich Wein verschüttet habe.«
    Ich antwortete dozierend, da ich über verschiedene Epochen perfekt Bescheid wusste und es ihr auch zeigen wollte. Männer haben diesen albernen Zug.
    Â»Die Römer gossen einige Tropfen auf den Hausaltar. Sie nannten das Libation. Ein Trankopfer für die Götter.«
    Mias Zunge strich über meine Schulter. Sie liebkoste mich wie ein Kätzchen.
    Â»Oh, das haben wir in Japan doch auch. Nur machen wir es ein bisschen anders.«
    Â»Anders? Inwiefern?«
    Â»Wir schütten Sake auf einen heiligen Stein.«
    Â»Also nicht auf eine Hose!«
    Sie neigte ihren Mund gegen mein Ohr.
    Â»Nein. Eigentlich eher auf das, was drinnen ist.«
    Â»Wie soll ich das verstehen?«
    Â»Wörtlich.« Mia lachte los. »Der Stein ist nämlich ein Phallus!«
    Worauf ich vor Lachen weinte und mir die Augen wischte und wir uns lachend umarmten, in der wiederkehrenden Unrast des Verlangens. Wir sahen den Abend heraufziehen und liebten uns mit ebensolcher Leidenschaft wie zuvor,
aber ohne den früheren Schmerz. Das Gespenst der Trennung entfernte sich. Wir verscheuchten es endgültig, indem wir  – na ja  – im Laufe der Nacht einige weitere Trankopfer brachten.

9. Kapitel
    E igentlich habe ich Angst vorm

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