Tochter des Windes - Roman
Hamburg gehen. Diese zwei Tage waren es, die mir Angst machten.
»Wie wärâs, wenn wir zusammenblieben?« fragte ich. Ich kaute schon eine Zeit lang an dieser Idee herum, verbissen wie ein Ochse, der zähes Gras rupft. Aber es war das erste Mal, dass ich die Frage offen aussprach. Als Versuchsballon sozusagen. Und vielleicht war jetzt der richtige Augenblick. Wir lagen in Mias Bett, das ziemlich zerwühlt war, und fühlten uns angenehm müde und ermattet.
»Wie meinst du das?«, fragte sie.
»Ich möchte mit dir zusammenleben«, sagte ich. »Auch
wenn du morgen nach Tokio gehst, viel zu tun hast und zuerst deinen dummen Mann loswerden musst.«
Mias Nacken verlieà meine Schulter. Als sie sich über mich beugte, fühlte ich ihren warmen Atem auf meinem Gesicht.
»Und deine Frau?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»Oh, das wird schnell erledigt sein«, sagte ich. »Ich habe jetzt keinen Grund mehr, die Sache hinauszuzögern.«
»Ja, und was dann?«
»Was dann? Ja, aber â¦Â« Ich begann zu stottern. Klare Formulierungen fielen mir angesichts meines Grauens vor Mias Abreise nicht ein. »Entschuldige, aber ich bin etwas langsam von Begriff. Was willst du damit sagen?«
»Hör zu, Rainer«, erwiderte sie ernst. »Du wohnst in Hamburg, ich in Japan. Und damit du es weiÃt: Ich gehe nicht weg. Ich habe eine Arbeit, die mir gefällt. Mein Bruder und ich sind dabei, ein ziemlich aufwendiges Projekt zu entwickeln. Ich will nicht meine Pläne über den Haufen werfen â¦Â«
»⦠wegen eines Mannes«, beendete ich im Geist ihren Satz. Ach je, wie bekannt mir das vorkam! Nur in umgekehrter Richtung: Es waren zumeist die Frauen, die sich anklammerten, während die Männer noch in Scheidung standen, viel vorhatten und sich nicht, Schreck lass nach, gleich wieder binden wollten. Was noch hinzukam, war, dass Mia schonungslos aussprach, was die Männer in ihrer feigen Art den Frauen mit Koitus und Küssen verheimlichten. Jetzt sauste der Bumerang geradewegs auf mich zu. Duckte ich mich rechtzeitig, kam ich mit einem blauen Auge davon. Oder hatte ich noch eine Chance? Ich musste jetzt ganz schnell denken. Schneller als Mias dummer Mann auf alle Fälle. Ich erwog in einem Atemzug das Für und das Wider. Also, wie standen die Dinge für mich? Ich dozierte gelangweilt vor gelangweilten Studenten, das feu sacré , das heilige Feuer, war
erloschen. Ein Sabbatjahr würde mir guttun. Dank genialer Rechenkünste hatte ich es zu etwas Geld auf der Bank gebracht. Dazu hatte Amalia mich wissen lassen, dass ich bei Bedarf einen Vorschuss auf mein  â immerhin nicht geringes  â Erbe beanspruchen konnte. Das Ergebnis dieser Blitzüberlegung war, dass ich sagte: »Vielleicht können wir trotzdem zusammenbleiben.«
Sie sah mich zweifelnd, zögernd an.
»Wovon hängt das ab?«
»Von meiner Arbeit«, sagte ich. »Meine gefällt mir überhaupt nicht mehr.«
»Nein?«
»Nein. Ich habe meinen Lehrstuhl seit elf Jahren.«
»Ist das nicht lustig?«
»Nein, überhaupt nicht! Die Studenten wechseln jedes Jahr, aber mir kommt es vor, als ob ich immer die gleichen sähe. Nur die Art, wie sie angezogen sind, ändert sich. Und zwangsläufig auch die Frisuren. Und nach einer gewissen Zeit ist mir vollkommen egal, wie sie aussehen und was ich ihnen erzähle.«
»Und trotzdem machst du weiter?«
»Man kann sich an alles gewöhnen, auch an die Arbeit.«
»Die Arbeit ist wichtig«, sagte Mia. »Du musst Freude daran haben. Sonst arbeitest du schlecht.«
»Ich wollte schon lange mal eine Pause einlegen, aber mit Tanja, da ging es nicht. Sie pochte auf ein festes Gehalt und sagte, wer einen sicheren Job an der Uni hat, der soll ihn sich warmhalten. Heutzutage sind ja so viele arbeitslos. Und inzwischen bin ich zweiundvierzig. Es ist mein Leben, das da vorbeigeht, und ich habe nicht gemacht, was ich eigentlich machen will.«
»Und was willst du machen?«, fragte Mia mit leiser Ironie.
»Ich will ein Buch schreiben.« Es schien mir plötzlich ganz
natürlich, Mia davon zu erzählen. »Ich habe sogar schon einen Verlag, der sich dafür interessieren würde. Ich müsste mir nur einen Ruck geben â¦Â«
Mia lag auf der Seite, die rechte Hand unter ihrem Nacken. Ihre zarte Brust lag, etwas seitwärts, auf ihrem Arm.
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