Tochter des Windes - Roman
Acht«, sagte ich. »Denk immer daran, dass ich ein Nörgler bin.«
Mia hob sich auf die Zehenspitzen, ihre Lippen streiften meine Wange. »Und du, denke immer daran, dass ich ein schwieriger Mensch bin.«
»Ich werde es nicht vergessen«, sagte ich.
Einige Atemzüge lang standen wir fest umschlungen. Dann trennten wir uns. Sie schenkte mir ein trauriges kleines Lächeln und sah plötzlich in ihrem grauen Jogginganzug wie ein verlassenes Schulmädchen aus. Danach drehte sie sich um und ging, schob sich in einer Traube von Leuten der Passkontrolle entgegen. Wir winkten uns ein letztes Mal zu, bevor ich sie endgültig aus den Augen verlor. Ein paar Minuten lang stand ich da, mit hängenden Armen und vorgerecktem Kinn, in der törichten Hoffnung, sie noch einmal
zu sehen. Doch vergeblich. Nach einer Weile drehte ich mich seufzend um, ging zu den Taxis und fuhr zurück nach Prag. Ein einsamer, langer Tag lag vor mir. Womit sollte ich ihn füllen? In mieser Stimmung ging ich zum jüdischen Friedhof. Dort verweilte ich lange, zwischen ehrfürchtigen Literatur-Freaks eingeklemmt, vor Kafkas viel besuchtem Grab, wo ich grimmig über die Verwandlung meditierte.
10. Kapitel
N ach dem lebenslustigen Prag kam mir Hamburg kühl, geordnet und versnobt vor. Meine Wohnung, oberflächlich aufgeräumt, roch nach eingeschlossener Luft, aber  â zum Glück  â nicht mehr nach Tanjas Parfüm. Ich holte beim Hauswart meine Post ab und fand unter zahlreichen Rechnungen eine Vorladung bei der Richterin Frau Dr. Irgendwas. Der Termin war auf in zehn Tagen angesetzt. Ich hätte ihn am liebsten schon am nächsten Morgen gehabt. Ansonsten war wenig passiert. Ich wappnete mich mit Geduld. Alles systematisch der Reihe nach. Mein Kühlschrank war leer. Ich ging zum Supermarkt, schob gelangweilt meinen Einkaufswagen vor mir her. Wieder zu Hause schob ich ein Fertiggericht in den Mikrowellenherd, schaufelte die Makkaroni mit Spinat in mich hinein und las die Zeitung. Ein starker Kaffee, schwarz und süÃ, brachte mir die Lebensgeister zurück. Ich sah auf die Uhr. Bald zehn. Ich rief bei Amalia an.
»So spät?«, sagte sie vorwurfsvoll. Sie war schon im Bett. Nein, geweckt hatte ich sie nicht, sie las immer eine Stunde, bevor sie das Licht löschte.
»Ich bin wieder da«, sagte ich töricht.
»Herzlich willkommen!«, erwiderte sie gähnend. »Wie warâs denn in Prag?«
»Ich habe eine Frau kennengelernt.«
»Das ging aber schnell.« Mutters Stimme klang eine Spur interessierter. »Eine Tschechin?«
»Nein, eine Japanerin.«
»Ach, wie nett!«, sagte Mutter mit dem üblichen Ton der Belustigung gegenüber ihrem Sohn, der so unberechenbar war. »Sie sieht gewiss reizend aus.«
»Entzückend.«
»Eine echte Geisha?«
»Das kann man wohl nicht sagen.«
»Dann hat sie also keinen Kuschelkomplex?«
»Nein, den habe ich. Sie treibt ihn mir gerade aus.«
Ich hörte, wie sie seufzte.
»Die Richtung, in die du gehst, gibt mir zu denken.«
»Kann ich dich morgen besuchen?«
»Ich treffe mich mit einer Freundin zum Mittagessen. Aber komm um vier, ich backe uns eine Torte. Und erzähl mir von deiner Geisha.«
»Sie ist Architektin«, sagte ich, womit ich, einmal und wenn auch spätabends, das letzte Wort behielt.
Mias Flugzeug war nicht abgestürzt und auch nicht entführt worden. Ich hatte von ihr eine SMS bekommen. »Bin wieder in Tokio. Gn8.« Echt blöd, wenn ich jetzt nur Bahnhof verstand. Früher wurden Kurzwörter, sogenannte Akronyme, fast nur in der IT-Branche zur internen Kommunikation benutzt. Ich musste schleunigst dazulernen. Jedenfalls schlief ich traumlos und gut, verbrachte den halben Sonntag mit Papierkram und schrieb meinen Kündigungsbrief. Je eher dabei, je eher davon. Um zwei machte ich mich auf den Weg zu Amalia, joggte dabei die Alster entlang und fühlte mich leichter bei jedem Schritt. Und als ich bei Amalia eintraf, war ich in bester Stimmung.
Weil es kühl war, trug Mutter lange Schlabberhosen und einen dreimal gewickelten Schal aus Rohseide um den Hals. Natürlich war sie barfuÃ.
»Du siehst aber nicht schlecht aus«, stellte sie fest.
»Das macht die Liebe.«
»Ein bisschen auÃer Atem, oder?«
»Ich habe gejoggt.«
Sie schnupperte.
»Immerhin riechst du nicht nach
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