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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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belästigen wollte und sich auch nicht dafür interessierte, was fremde Leute sich zu erzählen hatten.
    Â»Früher, als ich Kind war, war das noch viel steifer. Jeder Wagen bumsvoll, und kein Wort fiel.«
    Â»Irgendeine Vorschrift?«
    Â»Nein, aber man passte sich an. Man stand dicht aneinandergequetscht, und keiner wollte, dass der andere in seiner
privaten Sphäre wühlte. Heute gibt es natürlich Leute, die sich recht zwangslos unterhalten. Aber der älteren Generation ist das immer noch ein bisschen peinlich.«
    Ich zwinkerte ihr zu.
    Â»Gab es keine Anmache?«
    Sie kicherte verhalten.
    Â»Oh ja, natürlich! Aber nur mit den Augen.«
    Â»Keine Sexmolche?«
    Â»Doch, doch, die gab es schon immer! Für die Frauen war das sehr unangenehm.«
    Â»Italienerinnen würden den Typen eine knallen.«
    Sie lachte fröhlich.
    Â»Japanerinnen auch. Aber was, wenn sie sich nicht rühren können? Tragen sie spitze Absätze, machen sie davon Gebrauch. Das tut sehr weh. Das Problem ist, dass sie im Gedränge womöglich den Falschen erwischen. Und der ist dann sehr beleidigt.«
    Eine Rolltreppe brachte uns an die frische Luft. Ich war überrascht, wie kurz die Dämmerung war, hierzulande wechselten Tag und Nacht fast ohne Übergang ab. Wir kamen an Restaurants, Cafés, eleganten oder ausgeflippt-kitschigen Schaufenstern, an Sex-Shops und Pornokinos wie auf der Reeperbahn vorbei. Und alles durcheinander und sehr grellfarbig, laut und irgendwie unwirklich, aber das lag an mir, dass ich es so empfand. Unter hektischem Neongeflimmer schlenderte eine bunt gekleidete Fußgängermenge durch die Straßen. Warum musste ich immer wieder an Italien denken? Tatsächlich hatten die Japaner in ihrer Art, sich zu kleiden, sich zu bewegen, etwas verspielt Südländisches an sich. In Deutschland gab man sich seriös, und wenn im Berufsleben kein Krawattenzwang herrschte, trug man »Casual wear« für alle Zwecke, wie es die Amerikaner, diese Klugscheißer, nannten. Wir Deutschen fanden »casual« so bequem,
dass wir sie sogar abends im Konzert trugen, was meinen Vater (Jahrgang 1946) früher zur Weißglut gebracht hatte: »Ich werfe mich in meinen Frack, um vor Ungehobelten im Unterhemd zu spielen!«, pflegte er zu schimpfen. Ein T-Shirt war und blieb für ihn zeitlebens ein Unterhemd. Nun, hier hielt sich Onkel Sams kultureller Export in Grenzen: Die Japaner kleideten sich geschmackvoll, zeigten entspannte Eleganz. Das vermittelte mir, statt der ennuyanten Ideologie der Jeans-Gleichmacherei, ein poetisches Grundgefühl eigener Stilsicherheit, das ich als wohltuend empfand.
    Nun aber wurde es ausgesprochen spannend: Wir stiegen in einem schummrigen, ziemlich ungepflegten Treppenhaus, in dem es stark nach Essen roch, nach oben. Durch eine Schiebetür traten wir in einen mit Bambus und Zwergkiefern dekorierten Vorraum. Vor uns lag ein langer Gang mit vielen seitlichen Schiebetüren, und hinter jeder Schiebetür stieg die wildeste Party: hemmungsloses Gepolter und Gelächter, lautes Stimmengewirr, und dazwischen immer wieder Befehle, die sich wie eine Trillerpfeife anhörten, als ob hier eine ganze Fußballmannschaft trainierte. Inzwischen deutete Mia auf meine Schuhe. Ich zog sie aus und freute mich einmal mehr, dass ich keine Socken trug, kein Loch also, das die Japaner hätte schockieren können, und saubere Fußnägel hatte ich auch. Da schlurfte, sich bei jedem Schritt verneigend, eine hübsche Frau herbei, die jung aussah, aber nicht mehr jung war. Feierlich, aber gleichzeitig sehr ungezwungen, kniete sie vor uns nieder und holte irgendwoher zwei Paar Filzpantoffel, die sie uns schwungvoll vor die Füße setzte. Bitte schön! Mia schien die Frau zu kennen, die beiden begrüßten einander herzlich. Mia deutete auf mich, sagte ein paar Worte. Die Frau riss die Augen auf, als sähe sie das achte Weltwunder, und stieß ein entzücktes »Oooh!« aus,
wobei ihr Mund einen rot geschminkten Bogen bildete. Sie verneigte sich dazu, tief und immer tiefer, sodass ich unwillkürlich die Bewegung nachahmte, während mir gleichzeitig bewusst wurde, dass ich wohl recht einfältig dazu grinste. Inzwischen machte die Frau eine raffinierte Kehrtwendung (sie drehte uns nicht ganz den Rücken zu), stieß mit zwei Fingern eine Schiebetür auf und führte uns, gebückt und flink wie ein Wiesel, zu einer

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