Tochter des Windes - Roman
Gedanken?
»Vielversprechend! Mit Ausnahme von Ika no sugibayaki , den mag ich nicht so gerne.«
»Was ist Ika  ⦠und so weiter?«, stieà ich mühsam hervor.
»Tintenfisch«, sagte Mia. »Ich habe ihn bestellt, weil er wirklich ganz frisch ist.«
Die Kellnerin brachte neuen Sake, füllte die Becher, verneigte sich, verschwand. Inzwischen entschuldigte sich Isao für sein Zuspätkommen. Er war im Büro aufgehalten worden.
»Ist es in Japan üblich«, fragte ich, »dass Geschwister in der gleichen Firma arbeiten?«
Isao nickte.
»Bei uns gibt es viele kleine oder gröÃere Familienbetriebe. Man kann sehr erfolgreich sein, wenn man sich innerhalb der Familie die Verantwortung teilt. Kompliziert wird es erst, wenn die Eltern zu lange aktiv sind und erwarten, dass der Nachwuchs auf ihre Meinung hört.«
»Die nicht immer zeitgemäà ist«, ergänzte Mia.
»Ja, das nervt«, gab ich zu und dachte an Amalia. »Ich würde Mutter auch nicht gerne im Büro haben.«
Die Kellnerin kam zurück, kniete nieder, wobei sie mit müheloser Leichtigkeit ein riesiges Tablett in den Händen balancierte. Die Speisen in ihrem Keramik-, Porzellan- und Lackgeschirr sahen alle wie kleine, farbenfrohe Kunstwerke aus und stellten mich vor die verwirrende Frage: Was war hier zum Essen gedacht und was nur Dekoration?
»Ob mir das wohl schmeckt?«, murmelte ich.
Mia war nicht Amalia und nahm es wörtlich.
»Wenn es dir nicht schmeckt, kannst du was anderes haben.«
Ich starrte auf einige weiÃe Scheibchen, die, bestreut mit geraspeltem Ingwer und umgeben von Gurkenstreifen, in einer kleinen Schüssel lagen. Mir war, als ob sich ein Scheibchen bewegt hätte. Das konnte nicht sein. Womöglich war ich doch schon ein wenig beschwipst.
»Da hat sich was bewegt«, sagte ich perplex.
»Oh ja!« Mia antwortete mit fröhlicher Stimme. »Ich sagte dir ja, der Tintenfisch ist ganz frisch. Probier mal!«
Ich räusperte mich.
»Ãhm â¦Â«
»Wenn du willst, darfst du dich bei ihm entschuldigen«, sagte Mia. Sie deutete eine Verbeugung in Richtung Tintenfisch an. » Gomennasai «, setzte sie hinzu, wobei sie nach ihren Stäbchen griff.
Ich starrte auf den Tintenfisch, bevor ich mannhaft verkündete: »Ich bin ein Hamburger. Ich esse Tintenfisch, auch wenn er noch lebt!«
Isao brach in herzhaftes Gelächter aus.
»Zum Glück hat dir Mia keinen Fugu bestellt.«
»Heute Abend noch nicht«, sagte Mia. »Vielleicht morgen.«
»Was ist Fugu ?«, wollte ich wissen.
»Ein Fisch. Manche Teile von ihm sind giftig. Irrt sich der Itamaesan   â der Koch  â, wenn er den Fugu zerlegt, wird dir gleich in der Notfallstation der Magen ausgepumpt.«
Ich genehmigte mir einen kräftigen Schluck Sake und dachte, dass ich so oder so an diesem Abend dort landen würde. Leicht angeekelt entschuldigte ich mich bei dem Tintenfisch, der nicht zappelte, als ich ihn in den Mund schob und zerkaute. Er schmeckte wie eisgekühltes Kaugummi mit einer Prise Zitrone. Ich spülte das Ganze mit noch mehr Sake herunter.
Es kamen immer mehr Gerichte auf den Tisch. Makrelen mit Rettich. Garnelen in Eigelb. Algensuppe mit Muscheln. Hackfleisch mit Shiitakepilzen. Schweinefleisch, das nach Ingwer duftete, Lachsroggen, grüner Meerrettich, gebratene Chrysanthemenblätter. Alles in kleinen Portionen, in Streifen geschnitten, mosaikartig zusammengelegt, in Farben und Schnitten aufeinander abgestimmt, zu Blüten und winzigen Landschaften geformt. Viel zu schade eigentlich, um gegessen zu werden, man sollte das Ganze in Vitrinen aufbewahren. Das Verflixte dabei war, dass alles so höllisch gut schmeckte und man überhaupt nicht satt davon wurde. Man konnte stundenlang weiteressen.
Eine braune Kugel schwamm in einer Brühe. Endlich etwas Vertrautes. Ich teilte die Kugel mit den Stäbchen entzwei.
»Mmm ⦠eine SüÃkartoffel!«
Mia schüttelte den Kopf.
»Keine SüÃkartoffel. Das ist die Wurzelknolle einer Irisblüte.«
Sie war weich gekocht, innen etwas cremig, und schien sich zu bewegen. Ich entschuldigte mich feierlich bei der Wurzelknolle. Womöglich war sie noch ein bisschen frisch und nahm es mir übel, dass ich sie verspeisen wollte. Immer
wieder prosteten wir uns zu: » Kampai , Kampai «, und Isao erklärte mir, dass man
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