Tod am Kanal
Wellen am
Kopf an, das Gesicht wies einen gesunden braunen Teint auf.
»Die Füße stecken im Bootskasten am Bug, während die Frau
auf dem Boden sitzt. Sie lehnt mit dem Rücken gegen die Sitzbank, und der
Oberkörper ist nach vorne gesunken. Von Weitem sieht es aus, als wäre der Kopf
auf die Brust gefallen und sie würde schlafen.«
»Anzeichen von Gewalteinwirkungen?«, fragte Christoph.
»Keine zu erkennen«, sagte Große Jäger. »Zumindest
nicht von hier aus. Wir müssen die Spurensicherung abwarten.«
Als hätte er mit seinen Worten magische Kräfte ausgelöst,
rollte ein Mercedes-Kombi heran, dem ein hochgewachsener Mittvierziger mit
grauen Schläfen entstieg.
»Moin, Dr. Hinrichsen«, wurde er von Christoph
begrüßt. Der Arzt war als Allgemeinmediziner in der Kreisstadt tätig und hatte
in der weit von Kiel entfernten Region der Polizei schon oft bei ungeklärten
Todesfällen wertvolle Dienste geleistet, da die Rechtsmedizin in der
Landeshauptstadt konzentriert war. »Wir müssen noch ein wenig warten, bis die
Spurensicherung eingetroffen ist. Ich möchte das Areal an der Uferböschung
untersucht wissen, bevor wir es betreten. Es sieht aus, als würde
Fremdverschulden vorliegen. In diesem Fall muss der Täter seine Spuren am Ufer
hinterlassen haben.«
»Wissen Sie, wie viele Patienten in meiner Praxis auf
mich warten?«, fragte Dr. Hinrichsen unwirsch.
»Da wird schon keiner ernsthaft zu Schaden kommen«,
mischte sich Große Jäger ein. »Zum einen haben Sie ja stets die neueste
Büchermappe abonniert, sodass keine Langeweile aufkommt. Und wer ernsthaft
krank wird, geht sowieso zu einem richtigen Doktor.«
Für diese Bemerkung erntete Große Jäger einen bösen
Blick des Arztes. Christoph schaltete sich ein. »Wilderich, du könntest die
Zeit nutzen, um mit Harm die Umgebung abzuklappern und die Anwohner zu
befragen, ob jemand etwas mitbekommen hat.«
»Warum ich?«, erwiderte Große Jäger, stapfte aber doch
die Böschung hoch und fragte einen der Streifenpolizisten: »Wer hat den Fund
gemeldet?«
Der Beamte zeigte auf ein grau geputztes Wohnhaus mit
dekorativen Verzierungen an der Fassade. Liebevoll waren Rosenstöcke an die
Hauswand gepflanzt. Gesäumt von zwei hohen Fenstern mit Rundbögen dominierte
eine doppelflügelige Haustür die Vorderfront. Kunstvolle Ornamente an der
grünen Holztür und das ebenso verzierte Oberlicht machten den Eingang zu einer
Augenweide. Aus einem Fenster im Obergeschoss sah jemand, halb durch eine
Raffgardine verdeckt, auf das Geschehen hinunter.
»Hauffe heißt die Frau, die uns den Vorgang gemeldet
hat.«
Christoph war Große Jäger gefolgt. »Dann werden wir
mit der Dame sprechen«, sagte er.
»Wieso willst du plötzlich selbst mitkommen?«
Christoph lachte. »Weil ich gehört habe, dass es sich
um ein weibliches Wesen handelt.«
»Du vergisst, dass sich der Doc überhaupt nicht an
seine ärztliche Schweigepflicht hält, wenn er dich an Anna verpetzt.«
Große Jäger spielte damit auf Anna Bergmann an,
Christophs Freundin, die als Arzthelferin bei Dr. Hinrichsen beschäftigt war.
Frau Hauffe musste schon auf sie gewartet haben. Kaum
hatten sie den Klingelknopf betätigt, wurde die Tür geöffnet.
»Frau Hauffe? Wir kommen von der Husumer Kripo.«
Christoph stellte sich und Große Jäger vor.
Die Frau strich sich mit einer Handbewegung die Haare
aus der Stirn. »Kommen Sie rein«, forderte sie die beiden Beamten auf und
führte sie ins Wohnzimmer im Obergeschoss.
Große Jäger trat ans Fenster. »Von hier aus haben Sie
die Person im Kanu entdeckt?«
Frau Hauffe nickte. »Ja. Das kam mir komisch vor, weil
sie sich nicht bewegte. Die ganze Zeit nicht.«
»Was heißt: die ganze Zeit?«
»Nun – ja. So gegen halb sieben habe ich sie das erste
Mal wahrgenommen. Und eine Stunde später saß sie immer noch da.«
»Und dann haben Sie die Polizei angerufen? Auf die
Idee, einmal nachzusehen, sind Sie nicht gekommen?«
»Ja – nein. Also«, stammelte Frau Hauffe. »Zuerst
wollte ich ja, aber weil die Frau sich nicht bewegte, dachte ich, es ist
vielleicht besser, die Polizei zu verständigen.«
Unsicher blickte sie von Große Jäger zu Christoph und
wieder zurück.
»Eigentlich …«
»Was wollten Sie sagen?«
»Eigentlich war es eine Idee meines Mannes.«
»Wo ist der jetzt?«
»In der Schule. Er ist Lehrer am Eidergymnasium. Hier
in Friedrichstadt.«
»Und auch Ihr Mann hat nicht nach der Frau gesehen,
bevor er ging?«
»Nein«, kam es
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