Tod am Nil
bettelnd an, wich aber, wohl aus Furcht vor Tritten, im nächsten Moment ängstlich zurück.
»Wir haben nichts für dich«, sagte Merymose zu dem Hund und fügte, an Huy gewandt, hinzu: »Siehst du, wer arm und häßlich ist, hat auf dieser Welt nichts zu erwarten.«
»Was hast du jetzt vor?« fragte Huy.
»Ich will dir alles erzählen, was ich bisher in Erfahrung gebracht habe. Und was willst du tun?«
»Ich will mir die Leichen ansehen.«
»Dazu brauchen wir die Erlaubnis der Familien. Die Leichen werden inzwischen beide bei den Einbalsamierern sein.«
»Dann wollen wir uns darum kümmern. Rasch.«
»Aber was können die Leichen dir jetzt noch sagen?«
»Ich weiß es nicht. Aber an irgend etwas müssen die Mädchen gestorben sein.«
»Vielleicht sind sie vergiftet worden.«
»Gift verursacht Krämpfe und färbt die Lippen schwarz. Iritnofret sah aber friedlich aus, ihr Körper war völlig entspannt, und nach allem, was du sagst, sah Renis Tochter auch nicht anders aus. Wie hieß sie eigentlich? Das hast du nie gesagt.«
»Neferuchebit. Man nannte sie Nefi.«
Huys Herz pochte schneller. »Wie sah sie aus?«
Merymose beschrieb sie. Huy hoffte, daß die Einbalsamierer ihr Handwerk verstanden und die Leichen gut erhalten hatten. Aber da bestand wohl kaum Grund zur Sorge, denn die Familien Reni und Ipuky hatten natürlich die allerbesten beauftragt. Trotzdem konnte er nicht dagegen an, daß seine Aufregung von Minute zu Minute wuchs.
Wir treffen uns am Wasser, hatte er gesagt. Während sie dalag und darauf wartete, daß die Familie zu Bett ging, hatte sie allmählich den Mut verloren. Vielleicht, dachte sie, würde sie doch nicht hingehen. Sie würde hierbleiben, hier in ihrem Bett, eingehüllt in frische, nach seschen duftende Leinenlaken. Irgendeine Ausrede würde ihr schon einfallen.
Aber dann hatten Stolz und Neugier die Oberhand gewonnen, und sie erinnerte sich daran, weshalb sie sich überhaupt zu dem Treffen bereiterklärt hatte. Der Gedanke an das, was vielleicht passieren würde, machte ihr Angst, aber er war auch aufregend. Natürlich konnte es sein, daß überhaupt nichts passierte. Vielleicht würden sie sich nur unterhalten. Aber welche Enttäuschung wäre das, nachdem sie schon den Mut aufgebracht hatte, so weit zu gehen.
Als sie sicher war, daß im Haus alles schlief, schlüpfte sie leichtfüßig aus dem Bett, tauchte ihr Gesicht in die Waschschüssel auf dem Tisch neben der Tür und tupfte sich mit einem Handtuch trocken. Dabei achtete sie darauf, die Schminke nicht zu verwischen, die sie schon vor Stunden aufgelegt hatte. Dann warf sie noch einen kurzen Blick in den Spiegel aus polierter Bronze, der neben der Schüssel lag; der tiefgelbe Schein der Öllampe, die sie hatte brennen lassen, spendete genug Licht: Sie konnte beruhigt sein, nichts war verschmiert. Hastig schlüpfte sie in ein knöchellanges Kleid, befestigte den Verschluß an der linken Schulter, drapierte den weichen, fließenden Stoff so, daß ihre rechte, knospende Brust entblößt blieb, löschte die Lampe und wartete einen Augenblick, bis ihr Eulenauge sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte. Chons Wagen hoch oben am Himmel war nur von einem schmalen Lichthof umgeben. Die Nacht war dunkel.
Als sie in den Gang hinausging, trat sie auf etwas Weiches, Seidiges und Warmes. Schnell zog sie ihren nackten Fuß zurück. Ein behagliches Schnurren verriet ihr, daß die dösende Bubastis, ihre Schoßkatze, den versehentlichen Fußtritt wohl für eine Liebkosung hielt, denn sie ließ sich in ihrem Schlummer kaum stören. Der Korridor lag in tiefer Stille da; und unten, im dunklen Innenhof, der ringsherum von Veranden gesäumt war, hinter denen die Schlafzimmer lagen, rührte sich nichts. Nur der schwere Atem ihres Vaters, zuweilen unterbrochen von einem Schnarcher, war zu hören. Auf Zehenspitzen schlich sie sich an seiner Tür vorbei; sie wußte nicht genau, ob er heute nacht allein schlief oder nicht. Es war lange her, daß er ihre Mutter gebeten hatte, sein Bett zu teilen; seine neueste Favoritin war eine junge babylonische Konkubine, einen Monat jünger als sie selbst. Und genau dies war der Hauptgrund, der sie zu diesem Unternehmen befeuert hatte.
Mit Bedacht mied sie das lose Dielenbrett am Fuße der Treppe, drückte sich an die Wand und schlüpfte in den Garten hinaus; lautlos wie ein Schatten bewegte sie sich, obwohl ihr war, als müsse ihr Herz mit seinem Pochen die Toten aufwecken. Die letzte Hürde, die sie überwinden
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