Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
Vom Netzwerk:
waren klein, und sie lagen so tief in den Höhlen, daß man nicht hätte sagen können, von welcher Farbe sie waren. Aber sie glitzerten wie die Rücken zweier Skarabäen in einer Grabgruft, auf die ein Fackelschein fällt.
    Um seine scharfen Konturen zu mildern, hatte er sich einen Bart wachsen lassen - der war allerdings so kurz, daß er auch mit einem Kajal-Pinsel hätte gemalt sein können, ein Eindruck, der sich noch verstärkte durch die mit peinlicher Sorgfalt rasierten übrigen Gesichtspartien. Er trug einen rotgoldenen Kopfputz und eine weiße, ebenfalls rotgold abgesetzte Tunika. Jetzt stand er vor einem ungewöhnlich hohen Pult in dem Raum, in den Huy von Merymose geführt worden war. Außer einer offenen Truhe voller Schriftrollen waren keine anderen Möbel zu sehen. Huy folgerte daraus, daß der Mann im Stehen arbeitete.
    Huy hatte den Eindruck - sicher konnte er sich nicht sein bei den tiefliegenden Augen des Mannes -, Kenamun habe ihm einen kurzen, prüfenden Blick zugeworfen, ehe er sich ohne weitere Einleitung an Merymose wandte.
    »Das ist also der Mann, von dem du behauptest, er sei unentbehrlich für uns.«
    »Er könnte uns sehr hilfreich sein«, antwortete Merymose. »Wir wollen, daß der Fall bald aufgeklärt ist.«
    »Das ist wahr. Aber über welche Methoden verfügt er, die uns nicht zu Gebote stehen?«
    »Er hat einen Instinkt für die richtigen Fragen.«
    »Wem will er sie stellen? Du weißt, mit welchen Familien wir es zu tun haben.«
    »Oft stellt er sie nur sich selbst.«
    Kenamun musterte Huy nun unverhohlen, und der fühlte sich wie eine Schlange, die der Mungo anstarrt.
    »Du hast deiner Gefolgschaft für den Großen Verbrecher abgeschworen?«
    Huy seufzte. »Diese Möglichkeit wurde mir nicht angeboten. Man hat mir lediglich verboten, meinen Beruf auszuüben.«
    »Und du warst Schreiber. Nach deiner langen, harten Ausbildung muß das gewesen sein, als hätte man dir die Hand abgehackt.« Kenamun überlegte. »Aber man hat dich nicht ins Exil geschickt oder zur Arbeit in die Bergwerke?«
    »Nein.«
    »Und du bist mit Amotjus Familie befreundet?«
    »Ja.« Huy dachte an Taheb. War es wirklich erst gestern gewesen - ungefähr um diese Zeit?
    Der Beamte senkte abrupt den Blick und betrachtete einige Papiere auf seinem Pult. »Du bist ein guter Offizier, Merymose«, sagte er schließlich, »und obgleich ich nicht mit deiner Meinung über die Fähigkeiten unserer Medjays übereinstimme, so achte ich doch dein Urteil. Du kannst dich von diesem Mann beraten lassen, aber er darf keinen direkten Kontakt zu den Familien der Mädchen haben, und er darf nur auf deine Anweisung hin und nicht selbständig tätig werden. Du wirst mir täglich zur ersten Stunde der Nacht Bericht erstatten. Und schließlich: Du bist dafür verantwortlich, daß seine Tätigkeit geheim bleibt. Sollte es sich herumsprechen, daß wir ihn in Dienst genommen haben, werde ich sagen, daß du auf eigene Faust gehandelt hast, und du wirst die Konsequenzen tragen.«
    Er blickte nicht auf und sagte auch nichts mehr. Huy und Merymose sahen einander an und zogen sich zurück.
    »Wie ist er eigentlich?« fragte Huy, sobald sie das Gebäude verlassen hatten und auf der breiten Straße waren, die sich dicht an den Mauern des Palastbezirks entlangzog. Nach Kenamuns Büro wirkte das Tageslicht noch heller, die Sonne noch wärmer.
    »Er ist ein Beamter und hat seinen Berufsstolz. Er weiß nicht, wie er die Aufgabe angehen soll, mit der man ihn beauftragt hat. Wenn er die Fälle aufklärt, wird sich das günstig auf seine politische Karriere auswirken; scheitert er aber, würde es einen schweren Rückschlag für ihn bedeuten. Er hat wenige Freunde, und den Druck, den Ipuky und Reni durch ihre Freunde auf ihn ausüben, bekomme natürlich auch ich zu spüren. Daß er nichts dagegen hatte, dich zu engagieren, daran kann man ermessen, wie verzweifelt er darauf aus ist, die Sache erfolgreich zu Ende zu führen.«
    Sie spazierten zum Fluß hinunter. Auf dem Kai, wo die Fähren zum Westufer ablegten, herrschte ein kunterbuntes Gewimmel. Dort drüben schliefen Generationen von Pharaonen in den Gräbern, die tief in die roten Felsen des Tales gemeißelt waren. Der Gedanke an Nofretetes vernachlässigtes Grab ging Huy kurz durch den Kopf.
    »Was sagen die Familien?«
    »Sie sind so niedergeschlagen, daß sie sich kaum äußern. Man vermutet, daß Dämonen am Werk sind; aber es kommt selten vor, daß Dämonen die Reichen angreifen, und noch

Weitere Kostenlose Bücher