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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
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Seine Kunden waren reich und anspruchsvoll, und um so eher würde ihnen die kleinste Nachlässigkeit auffallen. Seine Halle war auf einer Nord-Süd-Achse erbaut, so daß ständig der Wind hindurchwehte und für frische Luft sorgte; und so war der Duft der Kräuter und aromatisierten Öle, die er verwendete, das einzige, was ein Besucher riechen konnte. Alle Feuchtigkeit wurde den Toten entzogen, ehe sie in Verwesung übergehen konnten.
    Merymose hatte den ganzen Tag gebraucht, um Huy die Erlaubnis für einen Besuch bei dem Einbalsamierer zu verschaffen. Als er sie endlich hatte, war zu den beiden toten Mädchen, die der Schreiber hatte sehen wollen, das dritte hinzugekommen. Ihre Leiche war am Morgen bei dem Teich in dem kleine Park an der Südseite des Palastgeländes gefunden worden. Huy konnte seine Wut über die Verzögerung kaum unterdrücken, ohne die das Leben des Mädchens vielleicht hätte gerettet werden können. Innerlich verfluchte er zudem den Vater des jüngsten Opfers wegen seiner Arroganz.
    Vor allem aber richtete sich sein Zorn auf Kenamun, der ihm aus Sicherheitsgründen verboten hatte, den Tatort des dritten Mordes zu besuchen. Wie sollte er sich jetzt mit den Umständen ihres Todes vertraut machen?
    Merymose hatte sich den Leichnam kurz angesehen und war jetzt von Kenamun abgeordnet, die Eltern des Opfers zu besuchen, bei denen es sich zu niemandes Überraschung um einen Untergeneral der Armee und die Tochter des wichtigsten Salzlieferanten für die Armee handelte. Der Vater hatte keinen Medjay zur Bewachung seines Hauses angefordert. Als Grund hatte er angegeben, er habe selbst genug tüchtige Männer für diese Aufgabe.
    »Sie hieß Mertseger«, berichtete der Einbalsamierer, als Huy vor der Toten stand und sie anschaute. »Ich werde ihr die Wangen ein bißchen ausstopfen, um sie auszufüllen, wenn sie getrocknet ist. Der Feuchtigkeitsverlust läßt das Gesicht einfallen, so daß es aussieht wie das einer Greisin. Aber ich werde ihr ihre Schönheit zurückgeben.«
    Jetzt war ihr Gesicht noch voll und unversehrt, aber die Bauchhöhle war erschreckend eingefallen, weil ihr der Inhalt entfernt worden war. Der dunkle Schnitt, der dicht oberhalb der Vagina begann und schräg nach oben verlief, wirkte wie eine grobe Schändung, schlimmer als alles, was man ihr im Leben angetan haben konnte.
    »Hast du irgend etwas bemerkt - eine Wunde?«
    »Nein. Und sie hat keinen Mann gekannt. Ihre Haut ist unzerstört.« Er deutete mit professioneller Geste auf die Vagina. »Ich brauche keinen Arzt, der mir das sagt. Willst du es sehen?«
    »Nein.«
    »Ich nähe sie zu, wenn sie trocken ist. Wir versiegeln alle Körperöffnungen. Das ist eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme gegen die Maden. Wenn die Fliegen erst ihre Eier hineingelegt haben, können wir nichts mehr tun. Wir müssen also sehr auf der Hut sein.«
    Huy wandte sich den beiden nächsten Tischen zu. Auf dem hintersten lag Iritnofret, die Arme eng am Körper, der Kopf leicht nach hinten gefallen, das Kinn hochgereckt. Die Augenhöhlen waren mit Harz verstopft. Ein Assistent überzog das Harz gerade sorgfältig mit Blattgold. Das Fehlen der Augen nahm dem Gesicht allen Charakter, den es einmal besessen hatte, seine Persönlichkeit, die Spuren des Lebens. Huy hoffte, daß er, wenn er soweit wäre, in der Wüste oder im Fluß sterben möge, so daß Geier oder Krokodile ihn holen könnten. Ihm gefiel der Gedanke nicht, in einem schwarzen Grab eingeschlossen zu werden, auch wenn er wußte, daß es nur sein Sahn wäre, der dort lag.
    Trotzdem sah er sich Iritnofret genauer an.
    Nichts verriet jetzt mehr, was für ein Mädchen sie gewesen war. Die Nase war getrocknet und sah mitleiderregend dünn und verkniffen aus. Die Wangen, die noch ausgestopft werden mußten, waren in die Hohlräume des Schädels eingesunken. Sie sah aus wie eine ledrige Karikatur der alten Frau, die sie hätte werden können.
    »Sie wird so lebendig aussehen wie du und ich, wenn wir sie gestopft und geschminkt haben«, versicherte der Einbalsamierer ihm noch einmal. »Normalerweise haben wir es nicht gern, wenn die Leute sie in diesem Stadium sehen. Es ist besser, wenn sie ihre Lieben so sehen, wie sie ihnen in Erinnerung geblieben sind.«
    Huy sah den Mann an. Sie waren beide etwa gleichaltrig, aber der Einbalsamierer sah älter aus. Seine Hände waren weich und wächsern vom vielen Waschen. Er war mittelgroß und hatte regelmäßige, unauffällige Züge - ein Gesicht, das man leicht

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