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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
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reinigen.«
    Wie im Traum sah sie zu, wie er seinen Kilt aufknotete, auf den warmen, harten Boden fallen ließ, und dann nackt vor ihr stand. Sie schaute zwischen seine Beine, aber da war nur Schatten, bis er sich ihr zuwandte und sie den Schlangenkopf aufragen sah. Ihre erste Empfindung war unbestimmte Enttäuschung. Er war nicht so groß oder so aufrecht wie der im Buch der Unterweisung.
    »Jetzt du.«
    Gehorsam, ja, hastig schob sie den Träger über ihre linke Schulter und schlüpfte aus ihrem Kleid. Sie bedauerte, daß es so dunkel war: Jetzt konnte er nicht sehen, wie schön sie sich für ihn gemacht hatte. Sie ließ das Kleid fallen und tat einen schüchternen Schritt auf ihn zu. Er streckte die Hand aus und streichelte ihr Haar, ihren Kopf, zärtlich und, wie sie fand, sonderbar abwesend. Aber sie wußte ja nichts von diesen Dingen.
    Dann kam er noch näher. Sie roch den warmen, beißenden Männergeruch seines Körpers. Sein linker Arm umschlang sie so heftig, daß ihr der Atem stockte, und preßte sie an sich. Ihr Gesicht lag an seiner Brust. Unfähig, sich in seiner festen Umklammerung zu rühren, küßte sie ihn dort hin. Aber er wich zurück, stieß ihre Lippen hart von sich, und sie fühlte sich verwirrt und abgewiesen. Was hatte sie falsch gemacht?
    »Lehre mich«, sagte sie und hob den Kopf, um ihn anzusehen.
    Er sah ihr nicht in die Augen, sondern hielt sie mit dem linken Arm fest und hantierte mit etwas in seiner Rechten. Er umschlang sie jetzt so fest, daß sie sich überhaupt nicht mehr rühren konnte. Dann endlich senkten sich seine Lippen auf ihre, und sie schloß die Augen.
    Der Schmerz, der im nächsten Moment folgte, war so jäh und so stechend, daß ihr die Sinne vergingen. Sie riß die Augen auf, aber er hielt sie fest im Arm und preßte die Lippen auf ihren Mund. Was ihr wie eine Ewigkeit erschien, waren nur Sekunden, Bruchteile von Sekunden, und dann reagierten ihre offenen Augen nicht mehr auf das Licht der Sterne über ihr. Sein Gesicht wurde zu einer Kette grauer Hügel, denen sie entgegenritt, auf einem Tier, dessen Hufe den Boden nicht berührten. Dann verschmolzen die Hügel mit dem dunklen Himmel dahinter, und alles war grau, aber es war nicht das ersehnte Grau, das die Morgendämmerung ankündigt. Es war ein Grau, das tiefer und tiefer wurde, und dann war es Nacht.

S ECHS

    Sie hatten das Gehirn mit langen Haken aus ihrem Kopf geholt, das Gewebe behutsam durch die Nasenlöcher gezogen und in ein kleines Becken mit rotglühender Holzkohle geworfen. Das Gehirn war nicht wichtig. Dann füllten sie mit Essig gemischtes Wasser in eine Spritze und spülten damit die Kopfhöhle aus; sie setzten die Leiche auf, damit die Ablagerungen durch die Nase ablaufen konnten. Danach Säuberten sie sorgfältig das Gesicht, bevor die Fliegen sich darauf niederlassen konnten.
    Die lebenswichtigen Organe - Magen, Darm, Lunge, Leber - wurden vorsichtig und ganz herausgenommen. Dazu legten die Einbalsamierer die Leiche flach auf einen langen Holztisch, und einer von ihnen, der Meister, machte mit einem scharfen Feuersteinmesser einen langen Einschnitt tief unten an der Seite des Körpers. Mit schmalen Händen tastete er nach den Organen, die er suchte, und mit einem anderen schlanken Messer löste er sie ab und zog sie heraus. Er übergab sie seinem Assistenten, der sie auf bronzene Teller legte und zu einem anderen Tisch trug, wo er sie mit Natronsalz bedeckte, um sie zu trocknen und zu konservieren, damit sie nachher in die vier Gläser gelegt werden konnten, die in einer Truhe am Kopfende des Sarges stehen würden, am Ort ihrer ewigen Ruhe.
    Als er den Leichnam ausgeräumt hatte, spülte der Meister ihn aus, erst mit Palmenwein, dann mit einer Korianderlösung. Jetzt würde er ihn mit Natron trocknen, ehe er die Höhlungen, denen er die Organe entnommen hatte, mit in Myrrhe und Cassia getränktem Linnen ausstopfte. Nasenlöcher und Augen wurden mit harzgetränktem Leim verstopft, und das Haar wurde so sorgfältig frisiert wie für eine königliche Hochzeit.
    Sieben Leichname waren in der an einem Ende offenen Halle aufgebahrt. So viele Tote auf einmal hatte der Meister der Einbalsamierer selten für die Ewigkeit vorzubereiten. Siebzig Tage dauerte die Prozedur, und er hatte alle Hände voll zu tun, so daß er zwei zusätzliche Gehilfen eingestellt hatte, um zumindest die Fliegen in Schach zu halten. Er merkte, daß er sich zwingen mußte, in der Hast keine Kunstfehler oder Schlampereien zu begehen.

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