Tod am Nil
der Tat. Er hat zu meiner Beschämung nie richtig lesen gelernt, und jetzt will er zur Armee. Er jagt mit dem jungen König; der schon dafür sorgen wird, daß er irgendeinen Rang bekommt.« Reni hatte sich nicht verändert, dachte Huy; er erinnerte sich an die ölige Bescheidenheit, mit der er schon damals vor weniger auserwählten Kollegen mit seinen Beziehungen zu den höchsten Kreisen geprahlt hatte. »Nebamun ist eher wie ich«, fuhr der alte Schreiber selbstbewußt fort. »Er hält seine Trauer im
Zaum, verwandelt sie in einen Gegenstand der Betrachtung.«
»Und deine Töchter?«
Reni spreizte die Hände. »Sie sind Frauen.« Er bemerkte Tahebs Blick und schlug hüstelnd die Augen nieder.
Vor weiterer Verlegenheit bewahrte ihn das Nahen seiner Ehefrau, die, von zwei jungen Leuten begleitet, durch den üppigen Garten herankam. Ohne zu zögern, kamen sie auf die Sitzenden zu - fast, als wäre ihr Auftritt zuvor abgesprochen gewesen.
»Darf ich euch die Mitglieder meiner Familie vorstellen, die im Augenblick... äh... abkömmlich sind«, sagte Reni. »Mein älterer Sohn ist bei Hof, und meine älteste Tochter ist sicher noch im Archiv am anderen Ende des Hauses beschäftigt.« Huy fragte sich flüchtig, ob diese älteste Tochter, die als Renis Sekretärin arbeitete, ihm wohl geholfen hatte, die Dokumente zu vernichten, die er unter Echnatons Regentschaft verfaßt hatte und die seinen Feinden schärfste Munition geliefert hätten; dann wandte er seine Aufmerksamkeit den Neuankömmlingen zu. Die Hauptfrau war keine Schönheit und sah dazu noch ungepflegt aus. Ihr Trauerweiß war nicht so strahlend wie das ihres Mannes, und die herabgezogenen Mundwinkel schienen nicht nur das Ergebnis ihrer augenblicklichen Trauer zu sein. Aber ihr Gesicht wirkte intelligent; in ihren Augen stand das Wissen darum, wie sehr sie ihr Leben vertan hatte. Sie hätte ihn vor Jahren verlassen sollen, dachte Huy, und er wünschte, er hätte eine Gelegenheit gehabt, ohne die beklemmende Gegenwart ihres Mannes mit ihr zu sprechen.
Der Sohn war etwa siebzehn, ein Mann schon, obwohl offensichtlich weder er selbst noch sein Bruder schon verheiratet waren. Nephthys, die mittlere Tochter, war dunkel, und ihre großflächigen, beinahe groben Züge waren von einer Offenheit belebt, die dieses Gesicht anziehend machten. Äußerlich war sie das Ebenbild ihrer Mutter; aber auch eine innere Verwandtschaft war zu erkennen: Die gleiche Offenheit und Lebendigkeit mußten im Gesicht ihrer Mutter gestanden haben, ehe die Hoffnung aus deren Leben gewichen war.
Alle begrüßten Taheb erfreut, bevor sie sich mit gespannten Mienen Huy zuwandten. Huy fragte sich, wie weit man wohl auf die Unterredung mit ihm vorbereitet und wie weit man ihnen zu gehen erlaubt hatte. Zu gern hätte er Gelegenheit gehabt, mit jedem einzelnen unter vier Augen zu sprechen, aber er sah, daß wenig Hoffnung darauf bestand, und er konnte auch nicht darum bitten. Er merkte, daß er keine Ahnung hatte, wo er anfangen sollte. Merymose hatte die Fragen nach den Fakten bereits gestellt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als alle noch zu sehr von dem Ereignis betäubt gewesen waren, um die Fakten zurechtzuschminken.
Während er von einem Gesicht zum anderen schaute, überlegte er, daß es wohl wenig Sinn machen würde, sie über ihre eigenen Theorien und Hypothesen zu befragen. Vor allem, um sich selbst Mut zu machen, versuchte er es also mit einigen allgemeinen Fragen danach, was Neferuchebit in den Tagen vor ihrem Tod getrieben hatte - Fragen, die nichts Überraschendes zutage förderten: Sie hatte getrieben, was jedes reiche junge Mädchen in der Zeit zwischen dem Ende ihrer Ausbildung und der Ankunft ihres Gemahls trieb; diese Mädchen lebten am Rande des königlichen Haushalts, und Arbeit - wie Taheb sie tat - galt für ihre Klasse als Tabu. Die Männer betätigten sich zwar, aber die Mehrheit nur dem Namen nach: Für diese Herren, die die oberen Ränge in Armee, Staatsdienst oder Priesterschaft bekleideten, erledigten andere die Arbeit.
Das Gespräch mit Nephthys bot Huy die Möglichkeit, ihre Schwester sozusagen aus zweiter Hand kennenzulernen, denn Nephthys hatte einen munteren Geist, und man spürte deutlich ihre Rebellion gegen ihre Familie, besonders den Vater. Der junge Mann war stiller, und seine Antworten waren wortkarg. Der Tod seiner Schwester schien ihn tief getroffen zu haben, auch wenn er es vor seinem Vater nicht zeigte.
Nephthys war jünger als er, aber sie wirkte
Weitere Kostenlose Bücher