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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
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sie, als sie gegangen waren. Sie hatten wenig vom Haus gesehen, nur einen steinigen Garten und einen langen, düsteren Korridor, der von der Eingangshalle zu dem Raum führte, in dem sie empfangen worden waren; alle Türen entlang des Korridors waren geschlossen gewesen, und nur durch die offenen Torbögen am Anfang und am Ende fiel ein spärliches Licht.
    »Nichts.«
    »Ich dachte, es ist ein Wunder, daß ein solcher Mann überhaupt Kinder hat.«
    Taheb lächelte. »Das Bild, mit dem er seine Frau beschrieb, hat mich verlegen gemacht. Und er wußte es.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich kannte seine erste Frau gut. Sie hat ihn nicht verlassen, weil sein Stern gesunken war; sie wußte sehr wohl, daß er zu der Sorte Menschen gehört, die immer wieder auf die Füße fallen. Aber der Untergang der Stadt des Horizonts bot ihr die Chance zur Flucht. Er hätte sie nie gehen lassen, wenn seine eigenen Interessen ihn nicht abgelenkt hätten. Iritnofret war ein Kind der Leidenschaft; die jüngeren Kinder sind Kinder der Pflicht.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil ich neugierig genug war, um selbst auch ein paar Fragen zu stellen. Ipukys neue Hauptfrau ist die Tochter eines Kollegen. Sie ist fünfzehn Jahre jünger als er und kaum mehr als seine Haushälterin und unbezahlte Bettsklavin. Ihre Ehe ist wie ein Partnerschaftsvertrag zwischen zwei Geschäftsleuten. Iritnofrets Mutter dagegen war imstande, Ipuky in Flammen zu versetzen.«
    »Warum hat Iritnofret nicht bei ihr gelebt?«
    »Das war der einzige Weg, mit dem Ipuky sie bestrafen konnte. Aber er quälte sich selbst damit, nehme ich an. Iritnofret sah aus wie ihre Mutter und hatte das gleiche Temperament. Sie war der Preis, den die Mutter für ihre Freiheit zahlen mußte.« Taheb schwieg einen Moment. »Und was er über das Bild an der Wand gesagt hat, war gelogen. Auch das ist eine Folter für ihn«, fügte sie hinzu.
    »Warum hat er es dann machen lassen?«
    »Da frag die Götter. Sie haben uns so erschaffen.«
    Sie wurden jetzt durch eine Straßenschlucht getragen. Auf einer gelben, mit Sandsteinplatten gepflasterten Gasse zwischen zwei rot verputzten Mauerwänden, die oben einwärts geneigt waren, näherten sie sich dem Gebäude dahinter. Oben auf den Mauern reihten sich riesenhafte, bemalte Standbilder der Götter in majestätischer Prozession aneinander. Die starren Bildsäulen waren neu. Hart und unpersönlich sahen sie aus, hatten kein Leben in sich. Huy schaute sie an. Dies waren keine Götter, mit denen man sprechen konnte.
    Reni erwartete sie. Sein Majordomus kam aus dem Haus, um sie zu empfangen. Er entschuldigte sich bei Huy; es sei ein Mißverständnis gewesen, daß er ihn beim letzten Mal nicht zu seinem Herrn vorgelassen habe. Dann führte er sie durch ein neues Tor, flankiert von schweren halbhohen Säulen, gekrönt von Lotosblüten und den überlebensgroßen Skulpturen geduckter Widder, den Amunstieren. Sie gelangten in einen großen Garten, der niemals der Hitze ausgesetzt war, denn er lag unter dem Schirm einer mächtigen, uralten Ranke, deren Blätterschatten den gepflasterten Boden sprenkelte. Durch ein verflochtenes Rohrleitungssystem floß überall Wasser in Springbrunnen und kleine künstliche Bäche und bewässerte eine Unmenge von Pflanzen, teils in der Erde wurzelnd, teils in zahllosen Töpfen, deren ungewohnte Vielfalt und Farbenpracht das Auge blendeten. Das Plätschern des Wassers vermischte sich mit dem Zirpen der Grillen. Wenn man hereinkam, begrüßte einen dieser Garten mit einem kühlen Hauch, der so willkommen war wie der Nordwind auf dem Dach eines Hauses in der Jahreszeit des Achet.
    Als sie herankamen, erhob sich Reni von seinem Platz an einem Tisch neben einem großen, rechteckigen Becken, das den Mittelpunkt eines - wie Huy jetzt erkannte - unkonventionell asymmetrischen Gartens bildete. Der alte Schriftgelehrte war in ein weißes Trauergewand gekleidet, und sein runzliges Gesicht war voller Trauer. Er trug keine Perücke; sein eigenes Haar hing ihm in langen Strähnen bis auf die Schultern, und die einzige Schminke war ein Hauch von kajal um die Augen. Er war blaß, aber seine ernste Miene konnte den gewitzten Humor in seinem Blick nicht überdecken. Ein unfreundlicher Betrachter hätte glauben mögen, daß auch Verschlagenheit in diesem Gesicht liege. Huy gestattete sich keinerlei Vermutungen darüber, mit welchen Mitteln es Reni gelungen sein mochte, sich und seine Familie aus dem Debakel nach Echnatons Sturz zu retten. Aber er

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