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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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niemals gesagt, wir könnten auf sie zählen. Es hat mir genügt, zweimal abgewiesen zu werden wie eine schwindsüchtige Bettlerin. Wir können uns nur auf uns selbst verlassen.»
    «Das ist doch eine ganze Menge», brummte Rudolf. «Da wissen wir wenigstens, woran wir sind.»
    «Vielleicht ist Jean auch ohne fremde Hilfe bald frei.» Sebastian strich Muto über das Haar, der sich schläfrig gegen seine Knie gelehnt hatte.
    «Wenn Rosina mir nun erlauben würde zu sprechen …»
    «So rede doch. Hat man den Mörder etwa gefunden?»
    «Nein, das nicht. Aber er hat wieder zugeschlagen.»
    «Ist Herrmanns tot?», rief Rosina.
    «Nein, nicht Herrmanns. Der Kaufmann, der in Lissabon seine Geschäfte führt, ist hier im Hafen beinahe totgeschlagen worden. Gestern in der Nacht. Vielleicht ist er inzwischen auch schon ganz tot. Die Leute auf den Straßen sind sich noch nicht einig. Und ich fand es nicht sehr passend, den Kaufmann selbst zu fragen.»
    «Aber das beweist doch, dass Jean unschuldig ist. Wenn der Mörder wieder jemanden erstochen hat …»
    «Diesmal hat er kein Messer genommen, sondern einen Knüppel», unterbrach Sebastian die aufgeregte Helena.
    «Die ganze Geschichte ist ziemlich geheimnisvoll. Er kam gestern Nachmittag auf einer portugiesischen Brigg an, und die Leute sagen, dass er sich auf dem Schiff verborgen hat, bis es ganz dunkel und still war. Einige glauben, weil er Angst hatte, andere, weil eine ansteckende Krankheit sein Gesicht entstellt hat. Das Mädchen, bei dem die Köchin von Doktor Kletterich Fisch kauft, sagt, Sievers liegt im Herrmannsschen Haus, rührt sich nicht und kämpft mit dem Tod. Aber der Doktor meint, er wird wohl kaum wieder aufwachen.»
    «Und woher kennst du das Fischmädchen?», fragte Rosina spitz.
    «Auf den Brücken kommt man leicht ins Gespräch.»
    Rosina sah ihn streng an. Sie hatte sich nie viel Gedanken über Sebastian gemacht, aber jetzt sah sie, dass er sich in den zwölf Monaten, die er nun mit der Becker’schen Gesellschaft lebte, verändert hatte. Während der langen Wanderungen kreuz und quer durch das Land war aus dem schmächtigen, blassen Studenten ein schlanker junger Mann geworden. Trotz seiner Schweigsamkeit war er nicht mehr die graue Gestalt, die alle übersahen. In seinen Augen lagen nun Neugier, Anteilnahme und Energie, seine Schultern waren breiter, sein einst gebeugter Rücken gerade. Er bewegte sich leicht und kraftvoll.
    Er war kein guter Schauspieler. Auf der Bühne gerieten seine Sprache hölzern, seine Gesten steif. Das Pathetische lag ihm nicht, und immer wieder brachte er die Verse durcheinander. Aber zur Überraschung aller erwies er sich bald als kühner Akrobat. Hinter der Bühne und unterwegs tat er, was getan werden musste, keine Kiste war ihm zu schwer, keine Arbeit zu schmutzig, und die Pferde waren seine Brüder. Wie Muto, dieses eigentümliche, stumme Kind, das nie von Sebastians Seite wich.
    Und nun fängt er mit Fischmädchen an, dachte Rosina und rümpfte ärgerlich die Nase. Er wird wohl erwachsen. Dabei übersah sie großzügig, dass Sebastian ein ganzes Jahr älter war als sie selbst.
    «Gut gemacht, Sebastian», lobte Helena. «Wusste sie, wer du bist?»
    «Dann hätte sie kaum mit mir gesprochen. Ich habe in den Straßen nicht gerade Gutes über die Komödianten gehört. Aber die Leute hier erkennen mich nicht. Ich war ja erst einmal in dieser Stadt, und», er grinste vergnügt, «meine Schauspielkunst hat sicher wenig Eindruck hinterlassen.»
    «Und du denkst, weil noch ein anderer Mann aus Herrmanns’ Haus überfallen worden ist, werden die Pfeffersäcke Jean freilassen? Warum?»
    «Weil doch kaum gleich zwei Mörder hier herumlaufen, die es auf Herrmanns und seine Leute abgesehen haben. Jean saß gestern Nacht im Kerker. Er konnte niemandem einen Knüppel auf den Kopf schlagen. Es war also ein anderer. Sicher derselbe, der auch den Schreiber erstochen hat.»
    Helena faltete mit einem kleinen Seufzer die Hände im Schoß. «Ich glaube nicht, dass hier irgend jemand so vernünftig denken wird.»
    Diese Stadt war groß und voller Menschen, die einander nicht kannten. Hunger und Armut gab es überall, und sicher mehr als zwei, die einem Mann für ein paar Münzen den Kopf einschlugen oder ein Messer ins Herz stießen.
    «Das ist Hamburg, nicht Wittenberg oder Celle.»
    «Trotzdem.» Rosina nahm wieder ihre unruhige Wanderung durch den Stall auf, zwei Schritte hin, zwei Schritte her, mehr Platz gab es nicht.
    «Trotzdem»,

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