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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nie, woher sie gekommen war. Immer noch schickte das Waisenhaus magere Kinder zur Arbeit, und jedes von ihnen fand auch in dieser Köchin eine strenge, aber freundliche Herrin.
    Manchmal, wenn die Nacht Sturm oder Gewitter brachte, träumte sie von dem elenden Schmutz, von dem röchelnden Husten der Kinder in der Nacht, von dem Jucken der Haut voller Krätze. Wenn sie dann erwachte, schreckensstarr und schweißgebadet, kroch sie aus ihrem warmen Bett, zündete eine Kerze an und dankte Gott für die Gnade, die sie in dieses Haus geführt hatte. Elsbeth glaubte an einen milden und gütigen Gott, und sie bemühte sich, ihm nachzueifern, auch wenn es ihr nicht leichtfiel, denn ihr Temperament war nicht weniger aufbrausend, ihre Zunge nicht weniger spitz als die ihrer Lehrmeisterin. Ein paar böse Mäuler behaupteten, das sei gewiss kein Zufall. Schließlich müsse auch ein Waisenkind von einer Frau geboren worden sein.
    Elsbeth zog ihr Tuch fester um die molligen Schultern. Ein frischer Wind wehte um die Katharinenkirche. Es war wirklich zu kalt für April. Kein Wunder, wenn Blohm wieder an der Gicht litt. Sie sah in ihren Korb, und eine kleine Falte stieg über ihrer Nasenwurzel auf. Ein paar Wochen noch, dann würde es wärmer sein, und die Vierländer Bäuerinnen, die ihre flachen Boote an der Trostbrücke festmachten, würden wieder mehr bieten als Zwiebeln, Kohl, schrumpelige Rüben und getrocknete Bohnen.
    In ihrer Küche köchelte ein fettes Huhn über dem Feuer. Hühnerbrühe war immer noch das Beste für einen Kranken. Martins Geist schien unerreichbar. Aber es war Elsbeth gelungen, ihm ein paar Löffel Brühe einzuflößen. Solange er schluckte, wollte er leben.
    Hauptsache, Kletterich brachte ihn nicht um.
    Sie pikte mit dem Finger in den Schellfisch, den sie, in ein sauberes Tuch gewickelt, auf das Gemüse gelegt hatte. Auch nicht gerade ein Prachtstück, dachte sie, aber mit einer ordentlichen Prise getrocknetem Dill, ein wenig Rahm oder Butter würde er schon delikat werden.
    Elsbeth mochte den April nicht. Der Keller war fast leer, die Kräuter hatten nur noch wenig Aroma, und die Sehnsucht nach der wärmenden Sonne war fast so groß wie die nach dem Geschmack von jungen Karotten, Lauchzwiebeln und frischer Petersilie. Überhaupt mochte Elsbeth das Gefühl von Sehnsucht nicht. Es machte unruhig und unentschieden, störte den Gleichmut des Herzens und den ruhigen Schlaf.
    «Verflixt, du Lausebengel, so pass doch auf …»
    Ein heftiger Stoß hatte Elsbeth aus ihren Gedanken gerissen. Der Fisch war mitsamt dem Tuch aus dem Korb gehüpft, als wäre er noch lebendig, und lag nun im Schmutz der Straße.
    «Sofort hebst du den Fisch auf und entschuldigst dich, du Tölpel!»
    Ein großer Mann mit dickem gelbem Haar hatte den Jungen, der sich eilig davonmachen wollte, am Ohr erwischt und zog ihn heran. Jammernd griff das Kind, kräusellockig und pausbäckig wie ein Cupido, nach dem Fisch, warf ihn zurück in den Korb und rannte mit großen Sprüngen davon.
    «Ich hoffe, Euch ist nichts geschehen.» Der Fremde sah Elsbeth besorgt an. «Ihr seid ganz blass. Nicht, dass Euch die Blässe nicht kleiden würde, alles kleidet Euch, darauf will ich jederzeit schwören. Aber bevor der wilde Kerl Euch umrannte, war Euer schönes Gesicht doch rosig wie ein Sonnenaufgang im Mai. Gebt mir Euren Korb und nehmt meinen Arm. Ich werde Euch nach Hause begleiten. Nein, keine Widerrede, so ein Schrecken ist ganz ungesund. Er macht das Blut dick und die Füße schwach. Ihr braucht jetzt einen starken Arm …»
    So ließ sich Elsbeth, in deren rotwangigem rundem Gesicht bis zu diesem Morgen noch niemand eine kleidsame Blässe entdeckt hatte, am starken Arm eines dicken Herrn bis in ihre Küche begleiten. Und weil sie wusste, dass Dankbarkeit eine Tugend ist, lud sie ihn zu einem stärkenden Frühstück ein. Sie ließ nie Fremde in ihre Küche, aber schließlich hatte er sie gerettet – wer weiß, ob sie nicht doch auf dem Heimweg einen Anfall von Schwäche erlitten hätte –, und dass er ein guter Mensch war, hatte sie gleich gesehen.
     
    Jules Braniff hatte ausgezeichnet geschlafen. Das Hotel zum Kaisershof am Neß war erstklassig. Es bot saubere Betten, honorige Gäste und einen wirklich bemerkenswerten Weinkeller.
    Matthews hatte ihm in männlichem Einverständnis zugezwinkert, als er die Gastfreundschaft des Engländers höflich ausschlug, weil er einfach lieber in Gasthäusern wohnte. Aber Matthews’ Vermutung war falsch.

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