Tod am Zollhaus
sie Euch gefällt, können wir ins Geschäft kommen. Denn das war ja wohl der Grund für Euren letzten Besuch auf Jersey. Als mein Schiff vor St. Aubin vor Anker lag, lagt Ihr leider in tiefem Schlaf und sorgtet für dunkle Ringe unter den Augen unserer schönen Anne. Hier», er reichte Claes ein kleines Stemmeisen, «macht auf.»
«Habt Ihr immer so ein Werkzeug in der Tasche?»
Braniff schüttelte lachend den Kopf.
«Nur wenn es gebraucht wird. Macht auf.»
«Zucker», rief Claes, als er das Deckelbrett endlich gelöst hatte. Skeptisch leckte er an einem groben dunkelbraunen Klumpen. «Nicht gerade die edelste Sorte. Und, verzeiht, aber Zucker war nicht der Grund für meinen Besuch auf der Insel.»
«Stimmt, und das hier ist auch noch der billigste von San Domingo.»
Braniff griff nach dem elfenbeinernen Lineal auf Claes’ Schreibtisch, stocherte in den klebrigen Kristallen und nickte zufrieden. «Bitte», er reichte Claes das Lineal. «Versucht selbst.»
Misstrauisch schob Claes das Lineal in den Zucker und spürte schnell einen Widerstand.
«In jedem Fass ist Zucker», erklärte der Captain, «und in jedem Fass versteckt sich darin ein Sack aus Ölzeug. Den Zucker solltet Ihr einem Feind andrehen oder in eines Eurer Fleete schütten, um die Lachse zu mästen. Aber mit den Säcken macht Ihr gute Geschäfte. Kaffeebohnen, mein Freund.» Braniff lachte vergnügt. «Direkt von den Plantagen und ganz frei von diesen lästigen Abgaben an irgendeinen König.»
Donnerstagnachmittag
St. Katharinen schlug schon drei, als sich die Sonne durchdie grauen Wolken drängte. Elsbeth öffnete den Riegel und schob das hölzerne Gatter beiseite. Der Garten, den Herrmanns vor dem Steintor gepachtet hatte, war nur klein. Aber er war allein Elsbeths Reich, ihr ganzer Stolz und das Geheimnis ihrer Kochkunst.
Allerdings nur noch bis zum Juni. Dann sollte das Haus auf dem großen, neuen Gartengrundstück in Hamm fertig sein, und die Familie würde die Sommer nicht mehr in der stickigen, viel zu eng gewordenen Stadt verbringen.
Das alte Grundstück in den Horner Auen hatte Claes nach Maria Herrmanns’ schrecklichem Tod in dem hölzernen Gartenhaus verkauft. Zu einem schlechten Preis, niemand in der Stadt wollte einen Sommersitz auf der Asche des Hauses bauen, in dem Maria verbrannt war.
Seit jener Tragödie hatte Claes keinen der Gärten vor der Stadt betreten. Selbst die Sommerfeste, das Vergnügen der reichen Hamburger Bürger, mied er seither.
Erst im letzten Herbst, als die späte Hitze wie eine erstickende Decke wochenlang über der Stadt lag und der Gestank aus den Fleeten und Höfen unerträglich wurde, hatte er einen neuen Garten vor den Toren gekauft. Der frühere Besitzer, ein holländischer Gesandter, wollte nach Amsterdam zurückkehren. Sein Sommerhaus war eine hübsche Villa aus massivem Backstein. Die Handwerker hatten schon begonnen, sie zu renovieren und neu einzurichten.
Elsbeth wollte auch dort einen Kräutergarten anlegen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Hammer Sand ihren Kräutern dasselbe köstliche Aroma geben würde wie die saftige Marscherde vor dem Steintor. Veränderungen hatten Elsbeth immer beunruhigt.
Sie schob vorsichtig ein wenig von dem Stroh beiseite, das die Kräuterbeete vor dem Winter geschützt hatte. Bald konnte es auf den Misthaufen. Für manche Menschen fing der Frühling am Ostersonntag an, für andere mit dem ersten Huflattich oder dem Gesang der Amseln. Für Elsbeth begann der Frühling mit dem Tag, an dem sie den Garten von seinem vermoderten Winterpelz befreite.
Sie spürte wohlig die Aprilsonne auf ihrem Rücken und hob behutsam das nasse, fast verrottete Stroh von den Petersilien- und Selleriepflanzen. Zwischen abgestorbenem altem Kraut zeigten sich erste grüne Spitzen.
«Für euch beide ist es wohl schon warm genug», murmelte sie und schob noch mehr Stroh beiseite.
Ihre Finger spürten einen Stein und zogen ihn aus der Erde. Als sie ihn gerade auf den Weg werfen wollte, fühlte sie, dass es kein gewöhnlicher Stein war. Sie rieb ihren Fund vorsichtig mit einem Schürzenzipfel ab, und er begann rot zu schimmern. Durch den Schmutz hindurch erkannte sie eine goldgefasste Kamee. Ein Meister der Goldschmiedekunst hatte eine halbgeöffnete Rosenblüte und einen winzigen Käfer in den roten Stein geschnitten. Die Fassung glänzte nun in der Sonne, und Elsbeth betrachtete das Kleinod von allen Seiten.
Die Kamee konnte weder Sophie noch Frau Augusta gehören.
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