Tod am Zollhaus
fremd. Kalt und gepresst vor unterdrücktem Zorn.
Der kleine Sachse spielte also mit Joachim Billard und gewann. Claes gelang das selten. Er war hart und ehrgeizig in seinen Geschäften, aber er hatte wenig Sinn für Kampf im Spiel. Wenn er spielte, wollte er sich ausruhen und plaudern. Deshalb spielte er am liebsten mit Sonnin. Dass der immer gewann, störte ihn nicht.
Als Friedrich Reichenbach und Joachim aus dem Billardzimmer in den Schankraum traten, steckte der kleine Sachse etwas in seine Rocktasche, es klimperte leise. Joachim war immer ein stolzer Spieler und schlechter Verlierer gewesen, er und Daniel hatten ihn in ihrer Kinderzeit deswegen oft gehänselt. Inzwischen gewann Joachim fast immer. Von so einem Jungen besiegt zu werden konnte ihm nicht schaden.
Die beiden Spieler kamen an ihren Tisch, und Claes und Sonnin rückten ein wenig zusammen, um genug Platz für zwei weitere Stühle zu machen.
Claes betrachtete Reichenbach nachdenklich. Ein hübscher Junge, temperamentvoll, gebildet und mit gutem Witz, aber trotz der Narbe auf der Wange ein bisschen weibisch. Reichenbach griff nach seiner Kaffeetasse und trank. Wohl doch nicht, dachte Claes. Hände verraten viel vom Charakter eines Mannes. Und Reichenbachs Hände waren breit und kräftig. Man sah ihnen an, dass er lieber selbst die Zügel in die Hand nahm, als sich kutschieren zu lassen.
«Wie geht es Eurem zukünftigen Schwiegersohn? Habt Ihr Hoffnung, dass er die Attacke übersteht?»
Die Augen des jungen Sachsen verrieten echtes Interesse und Mitgefühl. Obwohl Claes die Fragen nach Martin heute ein wenig ungeduldig machten – es wäre schön gewesen, wenn sich einmal jemand erkundigt hätte, wie es ihm selbst ging –, tat Reichenbachs Anteilnahme ihm ebenso wohl wie vorher Sonnins freudige Begrüßung auf der Straße.
«Wir sind sehr zuversichtlich. Besonders seit unsere Köchin ihre alte Tante ins Haus gebracht hat. Die Alte tut zwar alles, was Kletterich nicht täte, aber er hat gottlob selbst die Influenza, und ihre Behandlung hilft Martin. Jedenfalls sieht es so aus.»
Bei seinen letzten Worten klopfte er behutsam Reichenbachs Rücken. Der Junge hatte sich heftig verschluckt. Er erholte sich schnell, und nur Joachim bemerkte und argwöhnte, dass er sich allzu interessiert nach Claes’ Geschäften und Familie erkundigte. Aber die Sachsen, dachte er, sind schon immer ein neugieriges Volk gewesen.
Claes verließ das Kaffeehaus gut gelaunt. So eine heitere Stunde war belebend und ein gutes Mittel gegen zu viel Trübsinn. Die wollte er sich nun öfter gönnen.
Der junge Reichenbach, fand er, war eine äußerst angenehme Gesellschaft. Ein bisschen von seinem Esprit und Charme würden Martin guttun. Er wollte ihn, bevor er nach London weiterreiste, zu einem kleinen Essen in sein Haus einladen. Augusta würde von seinen respektlosen Plaudereien über die Literatur und die Literaten hingerissen sein. Aber dann dachte er an Emily und ihre brennende, aber völlig unpassende Liebe zu jenem Maler und entschied, mit solchen Einladungen zu warten, bis Sophie und Martin verheiratet waren.
Das Abendessen, das ihn morgen erwartete, oder, besser gesagt, die Gäste dämpften seine gute Laune ein wenig. Ein Abend mit Anne St. Roberts und Jules Braniff erschien ihm wenig verlockend.
Freitagnachmittag
«Amen», flüsterte Hilfspastor Voschering mit heiliger Inbrunst, und dann nieste er kräftig. Gewöhnlich nieste er nur, wenn er frischem Stroh zu nahe kam. Das Stroh, das auf dem Boden des Kerkers lag, war klumpig, feucht und uralt. Mein Herr und Gott, flehte er still, wenn du mich mit der Influenza züchtigen willst, so will ich als dein braver Diener mein Schicksal geduldig tragen. Aber vielleicht wartest du noch ein wenig. Nur fünf Tage, bis Pastor Goeze aus dem Dänischen zurück ist.
Er seufzte ergeben, schnäuzte sich vorsichtig und blickte den Gefangenen Jean Becker streng an.
«Nun, mein Sohn, unser Gebet wird Gottes Ohr für dich öffnen. Aber Gott hilft vor allem denen, die sich selbst helfen. Also sei nicht verstockt, sondern bereue und beichte mir deine Sünden.»
Voschering war mit sich zufrieden. Er hatte den richtigen Ton getroffen. Streng und doch väterlich. Er rückte seinen Stuhl, den die Wachen für ihn in die Zelle getragen hatten, ein wenig näher zu Jean und fingerte in seiner Rocktasche nach dem parfümierten Schnupftuch.
Jean roch noch schlechter als der alte Strohsack, auf dem er hockte.
«Ich höre», murmelte
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