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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Voschering durch das Tuch. «Aber sprich leise. Die Wachen müssen nicht wissen, was du mir anvertraust.»
    Jean sah den jungen Geistlichen mit dem pickeligen Kindergesicht zweifelnd an.
    «Was soll ich Euch erzählen? Ich weiß doch nur, dass ich mitten in der Nacht im Straßendreck neben dem Schreiber aufgewacht bin. Der war tot, und dann kam die Wache. Seitdem bin ich hier und friere und darbe …»
    «Du hast ihn nicht erstochen?»
    «Nein.»
    «Ich denke, du erinnerst dich an nichts.»
    «Daran würde ich mich bestimmt erinnern.»
    Voschering schwieg. Er hatte keine Erfahrung mit Menschen, die nicht wussten, was sie ihm erzählen sollten. Die Männer und Frauen in der Gemeinde überschütteten ihn stets mit Geschwätz und Gejammer. Fragt ihn nach jeder Minute dieser Nacht, hatte Frau Augusta ihm aufgetragen. Und ihm blieb nichts anderes übrig, als das zu tun. Er schuldete ihr Dank, denn ohne Frau Augusta hätte er niemals die Stelle als Hilfspfarrer an St. Katharinen bekommen. Er seufzte noch einmal tief und machte einen neuen Anfang.
    In der folgenden Stunde erfuhr der junge Pastor, der niemals eine Frau ohne Kleider gesehen und niemals mehr als ein Glas Wein oder Bier getrunken hatte, von den sündigen Freuden des wahren Lebens.
    «Abgründe», murmelte er, als er endlich wieder auf der Straße stand. Abgründe. Und doch. Ein guter Seelenhirte sollte wissen, wie ein Sünder lebte, und wieder einmal dankte er dem Herrn für die Prüfungen, die Er ihm auferlegte. Frau Augusta würde zufrieden sein. Jean erinnerte sich zwar immer noch nicht an das, was auf der Straße geschehen war. Aber er erinnerte sich an das Würfelspiel mit dem Schreiber.
    Behrmann hatte, wie der Komödiant, viel zu viel Bier und Branntwein getrunken, und je mehr er trank, um so trauriger wurde er. Er faselte viel von Sünde und von dem Unrecht, das er einem Bruder getan hatte. Und mit seinen Eltern stimmte auch irgendetwas nicht.
    Jean hatte nicht so genau zugehört. Für ihn gab es zwei Sorten von Branntweintrinkern. Die einen wurden mit jedem Glas fröhlicher – zu denen gehörte Jean. Den anderen öffnete der Branntwein den Kummerkasten in ihrer Seele, sie begannen, zu klagen und zu jammern, und versprachen, ab morgen bessere Menschen zu werden. Zu denen gehörte der Schreiber.
    Es lohnte einfach nicht, zuzuhören. Sobald das Kopfweh am nächsten Tag verging, blieben sie doch die alten.
    Aber, so hatte Jean dem Pastor versprochen, er wolle nun mit großer Anstrengung nachdenken. Wenn der Herr Pastor morgen wiederkommen könne? Sicher sei ihm dann noch mehr eingefallen. Und es lasse sich viel besser denken, wenn man eine wärmere Decke habe und vielleicht eine dicke Suppe mit einem ordentlichen Stück Fleisch.
    Und eine kleine Prise Schnupftabak.
    Voschering ging mit großen Schritten am Rathaus vorbei und durch die engen Gassen hinunter nach St. Katharinen. Wenn er sich beeilte, könnte er Frau Augusta gerade bei einem späten Nachmittagskaffee antreffen. Im Pfarrhaus gab es diese gute Gottesgabe nur an Sonntagen. Und der Pastorenmamsell gelangen niemals so köstliche Milchbrötchen wie der Herrmanns’schen Köchin.
    Frau Augusta würde zufrieden sein. Und morgen, gleich nach dem Frühgottesdienst, wollte er wieder in die Fronerei. Die Lösung des Geheimnisses war nah, und das war ganz allein sein, Hilfspastor Voscherings, Verdienst.
    Voschering war viel zu sehr mit Milchbrötchen und dem zu erwartenden Lob beschäftigt, um zu bemerken, dass ihm zwei hagere, ganz in Schwarz gekleidete Männer in einigem Abstand folgten. Als er über die Katharinenbrücke eilte, bog einer der beiden Männer schattengleich in das Dovenfleet ab und verschwand in dem engen Gang neben dem Speicher, den Claes Herrmanns vor einigen Wochen neu gepachtet hatte. Der andere folgte Voschering zum Neuen Wandrahm.
    Samstagabend
    Von St. Katharinen wehte der Wind sechs dünne Glockenschläge herüber, und in der Schenke Zum Bremer Schlüssel hockten erst wenige Gäste bei einem abendlichen Krug Bier. Als Titus und Sebastian die Gaststube betraten, verstummten die Gespräche über das Wetter, die neuen Preise für Osterlämmer oder das Pech, das Herrmanns in letzter Zeit verfolgte, abrupt.
    «Titus, alter Hanswurst», rief der Mann, der am Schanktisch stand und braunes Bier aus einem Fass in Krüge laufen ließ. Er wischte sich die Hände, Pranken, die ein Fass wie einen Eierkorb stemmten, an der Lederschürze ab und klopfte den beiden Komödianten freudig auf

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