Tod am Zollhaus
die Schultern.
«Und ihr», schnauzte er seine Gäste an, «kümmert euch um euer Bier und euer Geschwätz. Wem meine Freunde nicht passen, der kann rüber in den Gotländer gehen und da ein für alle Mal bleiben.»
Niemand in der Fuhlentwiete konnte sich erinnern, dass das Parterre des Hauses neben dem Kröger’schen Hof jemals etwas anderes als die Schenke beherbergt hatte. Nur ein paar Gäste wussten noch, dass der alte Wirt bei der letzten Pest vor einem halben Jahrhundert gestorben war und Jakob Jakobsens Vater, Sohn eines Gasthausbesitzers aus Husum, die Schenke übernommen hatte. Auch der war schon lange tot, und obwohl sein Sohn seit mehr als dreißig Jahren hinter der Theke des Bremer Schlüssels stand und längst Großvater war, wurde er in der Neustadt immer noch der junge Jakobsen genannt.
Jakobsen war ein guter Wirt. Er würfelte und trank mit seinen Gästen, aber er war nie betrunken, bevor die letzte Zeche kassiert war. Er wusste genau, wem er Kredit geben konnte, und hatte nichts dagegen, wenn sich zwei prügeln mussten, aber sobald das erste Blut floss, machte er, ein Mann wie ein Bär, dem Spektakel rigoros ein Ende. Nur in ganz schlechten Zeiten oder wenn kurz vor der Sperrstunde die letzten Gäste allzu betrunken waren, verlängerte er den Branntwein mit kaltem Eichenrindentee.
Fremde, selbst Matrosen, verirrten sich nur selten bis in diese Ecke der Fuhlentwiete. Jakobsen kannte fast alle seine Gäste seit vielen Jahren. Mit den meisten war er als Kind durch die Gänge, wie hier die engen Gassen genannt wurden, und über die Höfe der Neustadt getobt, und weiter über die Graskellerbrücke, den Rödingsmarkt hinunter bis zum Hafen. Sie hatten am Wasser gesessen, an den Kajen, beim Baumwall oder am Neuen Kran bei der Hohen Brücke, hatten vergeblich versucht, die Masten und gerefften Segel zu zählen und die Matrosen um einen Haifischzahn oder ein Stück Schnur mit einem Seemannsknoten angebettelt. Ein paar Jahre noch, dann wollten sie zu denen gehören, die mit wiegenden Schritten und grob gestutzten Bärten von den Schiffen kamen und von der weiten Welt, von den Korsaren auf See und den Wilden an fremden Küsten erzählten. Von Weibern mit dicken Brüsten, Rum bis zum Umfallen und vergrabenen Schatzkisten auf entlegenen Inseln.
Die meisten waren an Land geblieben und hatten ihre Träume vergessen. Jakobsen hatte nichts vergessen, und weil in seinem weiten Herzen immer noch ein Rest der alten Sehnsucht steckte, mochte er Menschen, die sich jenseits der sicheren Stadtmauern durchschlugen. Besonders mochte Jakobsen Titus, der immer, wenn die Becker’sche Truppe in Hamburg spielte, im Bremer Schlüssel sein Bier trank.
Wenn dann beide betrunken waren, schlugen sie einander auf die breiten Schultern, nannten sich unter Tränen Bruder und beneideten heimlich einer den anderen. Vor Jahren hätte Jakobsen Titus gerne mit seiner Schwester verheiratet, aber Titus wollte sein Wanderleben nicht aufgeben, und Jakobsens Schwester gab einem Komödianten nicht mal die Hand. Sie hatte auch sonst niemandem die Hand gegeben, aber sie war eine fröhliche alte Jungfer geworden. Nun regierte sie in der Küche hinter der Schenke, und Jakobsen war überzeugt, dass Gott es eben so gewollt hatte. Der Bremer Schlüssel war die einzige Schenke in der Stadt, in der die Becker’schen Komödianten auch in diesen unheilvollen Apriltagen freudig begrüßt wurden.
Sebastian und Titus setzten sich an einen der hinteren Tische, und die Schankmagd brachte ihnen Bier. Bevor sie den Krug auf den Tisch stellte, beugte sie sich weit vor und schob mit ausholenden Bewegungen einen feuchten Lumpen über das Holz.
Titus grinste. «Der Tisch ist ganz sauber, Lineken. Aber wenn du Sebastian noch mehr Aussicht auf deinen Busen gönnst, fällt der Junge schon unter den Tisch, bevor er nur einen Schluck von dem Bier getrunken hat.»
Sebastian wurde feuerrot.
Lineken stopfte das Brusttuch wieder in ihrem Ausschnitt fest, zog schnippisch die Schultern hoch und verschwand in der Küche.
Jakobsen hinter dem Tresen lachte sein heiseres Lachen. «Lass dem Mädchen doch seinen Spaß, alter Freund. Sie trifft hier selten so hübsche Kerle wie euren Akrobaten. Wollt ihr Branntwein?»
«Aber nur einen», rief Titus. Sebastian schüttelte den Kopf. Titus sah sich in der Schenke um, als wäre er zum ersten Mal hier. Es war eine gute Schenke, der Boden wurde am Morgen gefegt, jeder Gast bekam einen sauberen Becher, durch die Fenster fiel um
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