Tod am Zollhaus
Tante nach Eppendorf geschickt, wo es vor einem Jahr hergekommen war. Eltern hatte es nicht mehr, und für die Tante war es deshalb schon lange ihr Kind.
Die Stadtluft hätte sie krank gemacht, sagte die Köchin, aber außer dem Herrn und der Köchin hatte das bis dahin nie einer bemerkt.
«Aber kommt ja drauf an», sagte Vandenfelde und grinste bis zu den Ohren, «was einer mit krank meint.»
Jedenfalls war sie da oben in Eppendorf bei ihrer Tante ein halbes Jahr später wieder dünn und hatte ein Kind. Aber es ging ihr nicht schlecht. Sie hatte ihrer Tante nämlich nicht nur den dicken Bauch mitgebracht, sondern auch genug Geld für eine Kuh und ein größeres Stück Land. So sei es gewesen.
«Und was glaubt ihr, von wem ein Küchenmädchen für ’n dicken Bauch auch noch Geld für ’n Stück Land kriegt und genug, um ihren Jungen auf die Schule zu schicken? Nicht vom Pferdeknecht.»
«Und? Sag schon, Vandenfelde. Wer war’s? In welchem Haus war sie Küchenmädchen?»
Das wusste Vandenfelde nicht.
«Aber man hört so dies und das, wenn die Bauern ihr Vieh bringen, und ich sag dir, was ich glaube, Titus. Der alte Herrmanns war’s, der Vater von Claes. Der ist es gewesen.»
«Vandenfelde, du spinnst!» Ärgerlich knallte Jakobsen seinen Becher auf den Tisch und tippte sich mit drei Fingern heftig an die Stirn. «Ausgerechnet der alte Herrmanns! Der hat schon zu Lebzeiten ’nen Heiligenschein mit sich geschleppt. Wenn der ’ner anderen als seiner Ehefrau Kinder gemacht hat, fress ich ’nen Besen.»
«Lineken», brüllte Vandenfelde, «bring deinen Besen. Jakobsen will einen fressen.»
Die Männer, die längst von ihren Bänken aufgestanden waren und sich um den Tisch drängten, damit ihnen das Neueste über den Mord an Behrmann nicht entging, lachten grölend. Und am lautesten lachte Jakobsen, der Wirt.
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9. Kapitel
Samstagabend
Anne und Jules waren ein schönes Paar. Sie schritten durch die Diele des hanseatischen Kaufmannshauses wie durch einen Ballsaal. Ihre vornehme Eleganz gab Claes das Gefühl, den falschen Rock angezogen zu haben. Annes Begrüßung erschien ihm fremd und von gezwungener Fröhlichkeit. Braniff war wie stets der höfliche, verhalten amüsierte Beobachter.
Die halbe Stunde im Salon, bis Blohm zum Essen rief, erschien Claes wie eine Ewigkeit. Augusta hingegen war entzückt von Braniffs Charme und ließ sich von seinen kühnen Abenteuern in Surinam und im Karibischen Meer begeistern.
Anne saß in ihrem Sessel wie eine lächelnde Statue.
Sophie begrüßte die Gäste mit gebührender Höflichkeit und ungebührlicher Neugier. Aber sie entschuldigte sich nach wenigen Minuten. Martin brauche sie.
«Geht es ihm immer noch nicht besser?», fragte Anne, als sich die Tür hinter Claes’ Tochter geschlossen hatte.
«Ihr seid sehr bekümmert», antwortete er spröde, «obwohl Ihr den Jungen nicht kennt. Das ist wirklich freundlich.»
Augusta seufzte. Dass Claes sich selbst einen Idioten gescholten hatte, war vielleicht doch nicht ganz falsch.
«Natürlich bin ich bekümmert. Er gehört zu Eurer Familie. Und was ihm geschehen ist, erinnert mich an einen anderen Kranken, um den ich mich wochenlang gesorgt habe.»
«Er ist immer noch nicht aufgewacht», sagte Augusta in den Moment peinlicher Stille.
«Aber wir sind hoffnungsvoll. Er schläft ruhiger, und heute Abend hat er kein Fieber mehr. Wie mein Neffe im letzten Herbst», sie warf ihm einen strengen Blick zu, «wird auch Martin aufopferungsvoll gepflegt. Und wie mein Neffe wird auch Martin zu uns zurückkehren.»
Blohm trat in den Salon und meldete, es könne nun aufgetragen werden, und weil Anne den Arm, den Claes ihr bot, übersah und sich von Augusta in den Speisesaal führen ließ, blieb ihm nichts anderes übrig, als Braniff zu Tisch zu begleiten.
Elsbeth hatte Sophie ein Tablett mit ihren Lieblingsleckereien in das Krankenzimmer gebracht. Sie müsse essen, hatte die Köchin gesagt, wer solle Martin gesund pflegen, wenn auch sie krank werde? Also hatte Sophie gegessen, und Elsbeth war zufrieden in die Küche zurückgekehrt.
Sooft sie konnte, ging sie auf einen kurzen Besuch in Martins Zimmer. Krank und blass, erinnerte er sie wieder an den schüchternen Jungen, der sich in Herrmanns’ Kontor gewagt hatte. Sie mochte ihn schon damals. Der Erfolg machte ihn ein wenig steif, und wahrscheinlich wurde er einmal ein besserer Pfeffersack als alle, die dazu geboren waren. Aber die quecksilbrige,
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