Tod am Zollhaus
Tür hinter ihm zugezogen war.
«Mein Bruder Vorschering ist leider verhindert. Er hat mich beauftragt, deine Beichte weiter anzuhören. Setz dich.»
Jean setzte sich brav auf seinen Strohsack, wickelte sich wieder in eine der Pferdedecken und sah seinen Besucher erwartungsvoll an. Ein zartes Bürschchen, selbst für einen Pastor. Als Komödiant auf den Straßen könnte so einer kein Jahr aushalten.
Der Pastor rückte seinen Stuhl noch ein wenig näher an Jean heran und sprach laut ein Vaterunser.
Jean fühlte sich unbehaglich. Warum hatte der Kerl seinen Hut so tief im Gesicht? Er dachte an Behrmann, sah wieder den Griff des Messers aus dem feinen englischen Tuch ragen und begann zu schwitzen. Vielleicht sollte er lieber die Wache rufen. Das war nicht Voschering, aber vielleicht der, der Behrmann erstochen hatte, und jetzt wollte er ihn um die Ecke bringen, mausetot, mundtot machen.
«Wache», krächzte er, aber seine Stimme klang wie das Fiepen einer Maus.
«Bist du verrückt? Sei still und lass die Wachhunde, wo sie sind.»
Jean erstarrte.
Der Pastor nahm den Hut ab, und vor Jean saß Rosina, das dicke blonde Haar ordentlich gepudert und zum straffen Zopf gebunden, wie es sich für einen frommen Mann gehörte. Der schwarze Rock, Jean erkannte ihn jetzt, war das Kostüm eines Leipziger Kandidaten der Theologie, der in einer Burleske mit Tanz und Gesang eine traurige Rolle spielte. Die dicke Bibel, die Rosina auf den Knien hielt, gehörte Helena.
Jean schnappte nach Luft, und Rosina legte ihm schnell die Hand auf den Mund.
«Psst», flüsterte sie, «ich weiß nicht, wie dicht die Tür schließt, wahrscheinlich liegen die beiden Kerle da draußen mit den Ohren direkt am Holz. Also reiß dich zusammen, und sei ein Komödiant. Es kann dir doch nicht schwerfallen, ein Weilchen den frommen Sünder zu spielen!»
Jean starrte Rosina immer noch an. Er atmete tief ihren frischen Duft nach sauberem Leinen, Puder und Minze. Und ein wenig nach Pomeranzen.
«Du siehst aus, als kämst du geradewegs aus der Hölle!», flüsterte sie.
«Ich bin in der Hölle. Wenn du wüsstest, was …»
«Pst. Jetzt ist keine Zeit zum Jammern. Warum musstest du dich auch betrinken und unser Geld verspielen, anstatt dich um das Theater und die Papiere zu kümmern? Nein, sei still. O Bruder in Christo», rief sie plötzlich laut mit tieferer Stimme, «der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser» – sie stand leise auf – «er erquicket meine Seele» – schlich an die Tür und riss sie mit einem Ruck auf. Der Wächter stolperte ihr entgegen und fiel lang in das Stroh.
«Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Du, mein ungehorsamer Sohn, scheinst jedoch vom rechten Wege abgekommen. Nicht nur Gott, auch ich sehe alles. Wenn ich dich noch einmal erwische, wird der Oberrichter erfahren, dass du ungehorsam und deines Postens nicht würdig bist.»
Mit dramatischer Geste streckte sie den Arm aus und wies ihn zurück in die Wachstube.
«Fort mit dir! Die Worte zwischen Pastor und Sünder gehen nur diese zwei und Gott etwas an. Und vielleicht den Oberrichter. Noch einmal», brüllte sie, «und du landest selbst im Kerker.» Damit warf sie die schwere Tür mit aller Kraft hinter dem flüchtenden Wächter ins Schloss.
«So, nun haben wir Ruhe, mein Sohn», sagte sie atemlos und ließ sich auf den Stuhl fallen. Mit lauter Pastorenstimme deklamierte sie den Psalm zu Ende, dann beugte sie sich wieder zu Jean hinunter: «Helena lässt dich grüßen. Ich soll dir das geben.» Mit spitzen Lippen küsste sie ihn eilig auf seine bärtige Wange. «Voschering kommt nicht wieder. Weißt du, warum?»
Jean schüttelte den Kopf.
«Das ist jetzt einerlei. Wir haben nicht viel Zeit. Ich weiß, was du ihm erzählt hast. Und dass du noch mehr weißt. Was hat Behrmann dir noch erzählt? Und sprich leise!»
«Nur von seinem Bruder. Immer wieder von seinem Bruder. Gegen den habe er sich versündigt, schwer versündigt. Dafür werde er in der Hölle schmoren, wenn er sich nicht offenbare. Sein Bruder, hat er immerzu gejammert, sei ein edler Mensch, und dieser englische Teufel habe ihn verführt und die schwarzen Hunde in seiner Seele geweckt. Er war fast ein Poet. Weißt du, welcher englische Teufel?»
Rosina schüttelte den Kopf. «Das müsstest du doch wissen. Hast du ihn nicht gefragt?»
«Warum? Was interessieren mich die Teufel eines Schreibers?
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