Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
gefährlich. Aber ich werde es tun. Wir haben nichts zu verlieren.»
    «Wir haben immer noch eine Menge zu verlieren.» Rosinas Stimme klang streng. «Nur Jean hat nichts zu verlieren. Aber es ist die einzige Chance.»
    Rosina sah ihre Freundin prüfend an: das runde, weiche Gesicht, die leidenschaftlichen dunklen Augen, die vollen Lippen, den Busen, der, auch unter dem Schultertuch verborgen, nicht zu verstecken war. Sie strich mit beiden Händen Helenas kastanienrotes Haar aus der Stirn, raffte ihre Röcke über den Hüften und sagte:
    «Nein. Auf keinen Fall. Du schaffst es nicht. Ich werde gehen, und niemand wird etwas merken.»
    Montagnachmittag
    Jean saß in eine Decke gewickelt auf seinem Strohsack und sehnte sich nach einem großen Zuber mit heißem Wasser, nach einem Stück Seife, seinem Rasiermesser und ein wenig Lavendelwasser.
    Jean stank. Und er hasste es zu stinken. Die Fronknechte hatten ihn ausgelacht, als er mehr Waschwasser forderte, und der jüngere der beiden, ein hagerer, glatzköpfiger Kerl mit schwarzen Zähnen, der nicht besser roch als sein Gefangener, hatte grinsend seine Hose hinuntergelassen und in die Zelle gepisst. Jean konnte gerade noch seinen Strohsack vor dem dampfenden Strahl in Sicherheit bringen. Am liebsten hätte er dem Kerl sein bestes Stück abgerissen. Nur seine Vernunft und der Ekel hinderten ihn daran. Vielleicht auch die großen Fäuste seines Bewachers. Darüber wollte er nun nicht nachdenken.
    Jean stank, und sein Gesicht begann hinter dem juckenden Gekräusel eines schwarzen Bartes zu verschwinden. Immerhin hatte er einen neuen Strohsack und zwei neue Decken, kratzende Pferdedecken, aber dick und warm.
    Der komische, kleine Pastor war zwar nicht wiedergekommen – sein eigener Schade, denn Jean hatte inzwischen mit Erfolg nachgedacht –, aber doch dafür gesorgt, dass Jean das Nachdenken ein wenig leichter fiel. Eine krumme Alte und ein schieläugiger Knirps hatten gestern den Sack und die Decken gebracht. Die Alte hatte hastig einen Topf mit dicker Kohlsuppe neben die Tür gestellt und ihn dabei nicht aus den Augen gelassen.
    Bleib da, hatte sie gekeift, als er ihr den Topf abnehmen wollte, rühr mich nich’ an. Als wäre er nicht an der Mauer festgekettet wie ein Ochse am Schlachthaus.
    Er musste sich sehr strecken, um den Topf zu erreichen. Die Suppe war kalt, und auch das versprochene Stück Fleisch fehlte, aber sie war fett und reichlich mit Pfeffer und Kümmel gewürzt. Jean, der seit Tagen nichts als Brotkanten und eine graue Wassersuppe aß, erschien sie köstlich wie Schwanenpastete.
    Die Fronknechte waren seither nicht mehr so rüde. Jean hörte sie streiten, warum der Oberrichter dem verderbten Komödianten solche Geschenke machte.
    Ihre Dummheit bereitete ihm großes Vergnügen. Natürlich hatte der kleine Pastor die Alte geschickt. Ein Oberrichter war der Letzte, der einem Gefangenen Gutes tat. Je hungriger, müder und kranker einer war, um so schneller redete er unter den Qualen der Streckbank und der glühenden Zangen.
    Bei diesem Gedanken schmeckte Jean die Suppe nicht mehr ganz so gut. Rasch beschloss er, dass der Hamburger Oberrichter eben anders und ein wahrhaft christlicher Mensch sein musste.
    Und warum grübeln? Wenn ein Komödiant sich viel darum kümmerte, was morgen war, ging er schon vor lauter Sorge gleich unter. Helena war ganz anderer Meinung, sie stritt ständig mit ihm, dass eine gute Planung der halbe Erfolg sei. Aber was wussten Frauen?
    Auch heute hatte die Alte einen Topf Suppe gebracht, und diesmal fand Jean darin sogar ein kleines Stück fetten Speck. Er kaute lange auf der Schwarte herum und fühlte sich wie ein König. Gerade, als er den Topf sauberleckte – seine guten Manieren, auf die er besonders in Gasthäusern großen Wert legte, waren ihm in diesem dunklen Loch schnell abhanden gekommen –, wurde die erbärmlich jammernde Kerkertür aufgeschoben.
    Der Fronknecht trug einen Stuhl herein und stellte ihn in Jeans Nähe. Er trat mit einer mühsamen Verbeugung zur Seite und ließ den Besucher eintreten.
    Jean erhob sich schnell und wischte sich verstohlen mit dem Handrücken das Fett von den Lippen.
    Der Pastor war doch wiedergekommen.
    «Danke, mein Sohn», sagte der Mann im schwarzen Rock, dessen Gesicht unter einem breitkrempigen Hut verborgen war, «nun lass mich mit dem armen Sünder allein. Schließe die Tür und bedenke: Gott sieht alles. Besonders, wenn du lauschst.»
    Er blieb mit gesenktem Kopf stehen, bis die

Weitere Kostenlose Bücher