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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Wenn ich natürlich gewusst hätte …»
    «Wir werden’s schon rauskriegen. Weiter! Was hat er noch gesagt?»
    Jean überlegte, und Rosina, der gerade kein weiterer Psalm einfiel, begann das Hohelied Salomos zu deklamieren. Hoffentlich sind die Wachen nicht so fromm, wie es sich gehört, dachte sie. Sie werden sich sonst wundern, warum der Pastor dem Delinquenten anstelle eines Psalms von königlichen Leidenschaften sprach.
    Beinahe hätte sie sich in der Erinnerung an eine sehr innige Stunde mit diesen Versen verloren. Doch Jeans Geruch hielt sie in der Gegenwart.
    Es nutzte nichts. Ihm fiel nur noch ein, dass der, den Behrmann als englischen Teufel bezeichnet hatte, nicht in England, sondern in Hamburg sei. Das war keine große Neuigkeit. Wer in Hamburg mordete, musste auch in Hamburg sein.
    Doch dann glitt ein triumphierendes Glänzen über Jeans schmutziges Gesicht.
    «Ich wusste, da war noch etwas. Es saß in einer tief verborgenen Kammer meines gequälten Geistes …»
    «Hör auf zu deklamieren, die Bühne kommt später. Was ist dir eingefallen?»
    «Er hat von einem Brief gesprochen. Warte.»
    Jean überlegte noch ein wenig. «Sag schon», zischte Rosina. Sie war überzeugt, dass er nur zögerte, um sich wichtig zu machen.
    «Er hat einen Brief an seinen Bruder geschrieben, wer immer dieser Heilige sein mag. Und diesen Brief wollte er am nächsten Morgen übergeben, um sich dann der Gnade des großen Mannes auszuliefern. So hat er gesagt. Seines Bruders, nehme ich an. Der muss ein mächtiger Mann sein, wenn er Gnaden zu gewähren hat …»
    «Wo ist der Brief? Hatte er ihn bei sich?»
    «Keine Ahnung. Ich glaube nicht. Der Schreiber war so mitteilsam und weinerlich gestimmt, er hätte ihn mir glatt vorgelesen. Aber du musst besser wissen, was man in Behrmanns Taschen gefunden hat. Die ganze Stadt wird doch davon plärren. Mir erzählt hier drin kein Mensch was …»
    «So sprich doch leise. Weißt du noch etwas?»
    Jean schüttelte den Kopf. «Nein, sicher nicht.»
    Plötzlich legte er alle Pose ab. Gleich würde Rosina fortgehen und mit ihr der frische Duft, die Treue und Menschlichkeit, die er trotz Ungeduld und Ärger in ihren Augen sah. Und die Hoffnung, die ein einziger Mensch einem anderen bedeuten kann, wenn er am Abgrund steht. «Nur Mut», flüsterte Rosina. «Nur Mut, Jean. Es wird bald vorbei sein, und dann stehen wir alle auf der Bühne und spielen Komödie. Und bis dahin sage niemandem etwas von dem Brief. Niemandem, egal, wer dir schmeichelt.»
    Jean konnte sich nicht vorstellen, dass ihm hier jemand auf andere Weise schmeicheln würde als mit glühenden Zangen und der Streckbank. Aber er nickte und flüsterte: «Ich halte es nicht mehr lange aus, Rosina. Manchmal in der Nacht denke ich, ich werde verrückt. Sie ketten mich in einer engen Holzkoje an.
    Es ist so kalt, und in der Dunkelheit kriechen die Gespenster aus allen Löchern. Wenn die Nacht schon so lang ist und kein Ende nehmen will, wenn es kein Licht gibt, nicht einmal einen Stern kann ich aus diesem Loch sehen, ist alle Hoffnung verschwunden. Dann weiß ich, dass ich hier vermodern muss. Dass mich alle vergessen haben, als wäre ich schon lange tot. Und jeden Tag machen sich ein paar Tölpel vor dem Loch da oben einen Spaß», er zeigte zu der Fensterluke hoch in der Mauer, «und erzählen sich, wie das ist, wenn sich der Galgenstrick langsam zuzieht, wenn man würgt und strampelt und schon den Teufel über den Anger reiten sieht. Rosina, ich habe so schreckliche Angst.»
    «Ich weiß, Jean, ich weiß. Aber ein anderer wird den Galgenstrick spüren. Du nicht.»
    Sie umarmte ihn fest und strich liebevoll über sein zottiges Haar. «Es ist bald vorbei. Nur ein paar Tage noch. Vielleicht schon morgen. Wir haben eine gute Spur und mutige Verbündete. Ich bin gewiss, auch Gott ist auf unserer Seite. Selbst wenn ich mal wieder das Kleid seines Dieners missbrauche.»
    Sie küsste ihn schnell auf den Mund.
    «Sei tapfer, Prinzipal», flüsterte sie, und bevor Jean noch etwas sagen konnte, öffnete sie die Kerkertür und verließ schnurstracks, ohne die dienernden Fronknechte auch nur eines Blickes zu würdigen, die Fronerei.
    Sie hatte vergessen, Jean den Schnupftabak zu geben. Für Muto würde es ein großer Spaß sein, den Beutel durch das Fenster zu schmuggeln.
    Muto würde nichts geschehen. Niemand war so schnell und leise wie er.

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    13. Kapitel
    Montag am Spätnachmittag
    Anne nippte an ihrem Kaffee und schob

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