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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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im Entsetzen verzerrtem Mund auf die Höllenerscheinung. Die Laterne zitterte in seiner Hand. Immer höher schrillten die Töne der Flöte zu einem schaurigen Kreischen.
    Ein lautes «Johoooo» ließ ihn herumfahren, eine silbrige Gestalt flog wie ein Pfeil durch die Luft, griff mit großer Kralle nach der gefesselten Anne, und während er sie mit sich in das Dunkel riss, traf Joachim ein scharfer Stoß. Er fiel mit der Lampe in den Kreis und verschwand mit einem gellenden Schrei in der explodierenden Feuerfalle, die er selbst gelegt hatte.

[zur Inhaltsübersicht]
    15. Kapitel
    Ein Tag im Mai
    Augusta guckte misstrauisch in den dampfenden Topf. Sein Inhalt roch ohne Zweifel gut, nach Zimt, Nelken und Sherry, aber er sah nicht sehr appetitlich aus.
    «Und du glaubst wirklich, dass es schmeckt?»
    Elsbeth zuckte mit den Schultern.
    «Es sind nur gute Sachen drin, viele Eier, Rosinen, Mandeln und ganz feines Mehl von Weizen. Denkt Ihr, Herr Claes merkt, dass ich das Nierenfett weggelassen und dafür frische Marschenbutter genommen habe?»
    «Ob er es merkt oder nicht, das hast du sehr gut gemacht. Nierenfett! Das klingt ja ekelhaft. Die Engländer sind doch sonst so kultiviert.»
    Dazu schwieg Elsbeth. Seit einem außerordentlich betrüblichen Erlebnis mit einem Steuermann aus Bristol hatte sie ihre eigene Meinung von Engländern.
    Seufzend schloss Augusta den Topf. Sie glaubte zwar nicht, dass Zuneigung ein heimatliches Dessert als Beweis brauchte – eine schöne Brosche oder ein delikater Ring reichte völlig –, aber wenn er Anne mit einem Plumpudding überraschen wollte, sollte er ihn bekommen. «Serviere außer dem da auch deine wunderbaren eingemachten Pfirsiche, Elsbeth. Und stell eine große Kanne frischer Sahne auf den Tisch. Sahne rettet alles. Selbst einen so unansehnlichen Pudding.»
    Augusta ging die Treppe hinauf und öffnete die Tür zum großen Esszimmer. Es war nach Marias Tod kaum noch benutzt worden, aber heute strahlte es in seinem alten Glanz. Die schilfgrünen Damastgardinen, frisch gewaschen und gebügelt, bauschten sich leicht im warmen Maiwind, der sanft durch die weitgeöffneten Fenster hereinwehte. Die große Anrichte strahlte frisch poliert und verströmte den Duft von Honigwachs.
    Augusta war, als begänne heute ein neuer Abschnitt ihres Lebens. Vielleicht war es tatsächlich so, aber ganz sicher waren die Schrecken der letzten Monate nun endgültig vorbei. Sie ging langsam um die lange, festlich gedeckte Tafel, rückte hier ein Messer, dort ein Glas zurecht und nickte zufrieden. Der große Strauß von Birkengrün und den ersten Margeriten in der Mitte des Tisches erschien ihr wie ein Symbol für das Ende der Dunkelheit.
    Alles fügte sich. Die Geheimnisse waren gelüftet, die Schrecken vergangen, die Wunden verheilt. Jedenfalls die sichtbaren. Claes würde sicher noch lange brauchen, um den Verlust Joachims zu verschmerzen.
    Joachim war tot. Aber viel schwerer wog, dass er, für den Claes tiefe, brüderliche Freundschaft empfand, ihn so grauenvoll hintergangen hatte. Sie sorgte sich um ihren Neffen. Die Brandwunden an seinen Händen und auf seiner Stirn waren nur noch rote Male. Auch die würden mit der Zeit vergehen. Aber in seinen Augen sah sie noch den tiefen Schmerz seiner Seele. Da konnten Lies’ Minzteekompressen und Ringelblumensalbe keine Wunder bewirken. Nur die Zeit und, so hoffte Augusta, Anne St. Roberts besaßen die Kraft, ihm die heitere Zuversicht zurückzugeben, die sein Wesen immer geprägt hatte.
    Dass er und Anne überhaupt noch lebten, grenzte an ein Wunder. Von der Komödienbude war nach dem Feuer in jener Nacht nur noch ein Haufen Asche geblieben. Der strömende Regen und die Klugheit der Komödianten hatten verhindert, dass die Flammen auf die Nachbarhäuser übergriffen und eine Katastrophe auslösten. Als endlich die Männer mit der Wasserpumpe kamen, war der Brand schon fast gelöscht. Niemand war ernstlich zu Schaden gekommen.
    Außer Joachim. Sie hatte Gott um Vergebung für ihre unchristliche Härte gebeten, aber sie konnte seinen entsetzlichen Tod nicht bedauern. Sie bedauerte Gritt, seine Frau, und seine Kinder. Alle, denen er so großes Leid zugefügt hatte. Aber nicht Joachim.
    «Das ist sehr hübsch, Augusta.»
    Claes war leise eingetreten und betrachtete das sommerlich geschmückte Zimmer. Er schloss die Tür, ging langsam um den Tisch und setzte sich auf einen der Sessel zwischen den Fenstern. Seine linke Hand war noch verbunden, behutsam legte er

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