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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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drangen wie durch Nebel in ihr Bewusstsein. Was für Geräusche? Der Wind rüttelte durch die Gänge und Höfe. Regen trommelte auf das hölzerne Dach und tropfte nur ein paar Schritte von ihrem Kopf entfernt auf den Boden. War da nicht noch etwas? Ein anderes Geräusch? Nein, sie hörte nur Joachims Schritte auf dem alten, knarrenden Holz.
    Joachim schüttete den Inhalt der Kiste langsam und gleichmäßig auf den Boden. Schwarzes Pulver rieselte heraus und zeichnete einen Kreis um Anne, zweimal, dann war die Kiste leer. Joachim betrachtete den schwarzen Streifen prüfend wie ein gerade vollendetes Kunstwerk, bückte sich und strich die Rundungen des Kreises um Annes Füße gleichmäßig aus. Sein Gesicht war ein weißer Fleck mit starren schwarzen Augen.
    Ein dumpfer Geruch stieg auf, und Anne wusste, was in der Kiste war. Es roch nach Schwefel. Was sie wie ein magischer Kreis umschloss, war Pulver. Schwarzpulver. Die Lunte lag schon bereit.
    «Wenn Ihr mögt, Mademoiselle, sprecht ein letztes Gebet. Der kleine Pastor hatte dazu leider keine Zeit mehr.» Joachim sah zufrieden aus, wie in der Erinnerung an einen schönen Tag.
    «Er war ein bisschen zu weit auf meiner Spur, der dumme Schwarzrock, und hat es selbst nicht mal bemerkt. Nur ein Schluck Branntwein, und er hat geplaudert, als bete er seine Episteln herunter. Noch ein Schluck, und er ist mir in diese Bude gefolgt wie ein Pilger, um die Stätte der Verderbtheit zu erleben. So hat er es genannt, die Stätte der Verderbtheit, und war dabei geil wie ein rolliger Kater. Es war nicht schade um ihn.»
    Joachim nahm die Laterne und leuchtete Anne ins Gesicht.
    «Aber um Euch ist es wirklich schade. Ihr hättet einen guten Preis gebracht. Die Korsaren …»
    «Halt dein dreckiges Maul!»
    Die wütende Stimme hallte wie ein Schrei durch die leere Komödienbude. Joachim fuhr herum, die Laterne schwankte und wäre ihm fast entglitten. Mit beiden Händen hielt er sie fest und sprang aus dem Pulverkreis.
    Im schwankenden Lichtschein stand Claes mit wirrem Haar und tropfnassen Kleidern.
    «Du kommst zu spät, Claes. Dieses eine Mal kommst du zu spät. Bleib, wo du bist!» Triumphierend griff Joachim nach dem Ende der Lunte. «Nur einen Schritt näher, und deine Liebste brennt. Und du mit ihr.»
    «Wenn wir brennen, brennst du auch. Gib mir die Laterne, Joachim. Sei vernünftig. Es ist vorbei.»
    «Bleib stehen!» Joachims Gesicht war zu einer Maske von Hass und Rachgier erstarrt.
    «Du kommst hier nicht heil raus, Joachim. An mir kannst du nicht vorbei, und es gibt nur diese Tür. Gib mir die Laterne. Wir verraten dich nicht, du kannst die Stadt verlassen, morgen, wenn das erste Tor sich öffnet. Du kannst auch meinen Ewer nehmen und nach Harburg segeln, noch heute Nacht …»
    «Komm nicht näher! Denkst du, ich merke nicht, dass du mich bereden willst? So wie du es immer getan hast, mit deinem schlauen Geschwätz. Sei vernünftig, Joachim, sei klug, Joachim. Es war immer zu deinem Nutzen, nur zu deinem Nutzen. So wie Maria nur zu deinem Nutzen war. Sie wollte
mich,
und du hast sie mir gestohlen …»
    «Maria? Du bist wahnsinnig. Maria hat dich nie geliebt. Niemals. Dazu war sie viel zu klug. Du warst für sie nur Daniels leichtfertiger kleiner Bruder, ein Kind, das Freundlichkeit braucht …»
    «Schweig! Glaubst du, du weißt alles? Du weißt nichts!», schrie er. «Erst habe ich sie verloren, dann hast du sie verloren. Aber jetzt gewinne ich …»
    «So wie in London? Da hast du alles verloren, was du besitzt. Alles. Denkst du, auch die Wechsel verbrennen in dieser Bude?»
    Joachim starrte ihn hasserfüllt an. Dann begann er wieder zu lachen, schrill und hoch, er warf den Kopf zurück, seine Zähne schimmerten weiß wie ein Raubtiergebiss im flackernden Licht. «Ich gewinne immer. Immer! Und wenn mich dafür der Teufel holt!»
    In diesem Augenblick hallte ein fürchterlicher Schrei durch den Raum. Donner folgte wie ein Echo nach, und ein hoher, pfeifender Ton drang durch den Regentrommel auf dem Dach, immer lauter und schriller, ein wütendes Crescendo, das in den Köpfen zu platzen schien. Das Pfeifen brach abrupt ab und dort, wo eben noch nichts als ein schwarzes Quadrat war, erhob sich zwischen zuckenden Irrlichtern eine schwarze Gestalt. Sie wuchs und wuchs, wurde riesig bis zur Decke, schwankte und schwebte mit neuem Donner und pfeifendem Kreischen durch das rot und gelb schillernde Licht.
    Joachim stand wie versteinert, starrte mit aufgerissenen Augen und

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