Tod & Trüffel
Nebel vorausgehen. Immer massiver wurde seine Angst. Es war ihm, als wäre jeder Schritt schwerer als der vorherige, als ginge es steil bergauf und nicht wie in Wirklichkeit langsam abwärts.
Endlich berührten seine Pfoten die Hauptstraße. Nun war der Weg einfacher. Er würde seinen Schritt beschleunigen können, dafür musste er nur auf den brüchigen Beton unter seinen Pfoten achten. Doch er wurde langsamer, blieb dann stehen, drehte sich um. Ging überhaupt noch jemand hinter ihm? Er hörte nichts. Dann erschienen Hunde, nur wenige, der Unglaubliche Houdini, der rosa Pudel, Blitz und JamesDean. Dahinter nur Schatten. Er lief an ihnen vorbei, der Nebel gab seine Heerscharen frei. Alle waren sie noch da, doch keiner sprach ein Wort. Sie gaben ihm Zeichen, dass sie bereit waren, deuteten Niccolòs Unruhe als Bedürfnis, sich ihrer sicher zu sein.
Selbst die größeren, stärkeren Hunde, auch die älteren und weisen, zeigten ihm Respekt. Ihm, dem kleinen Italienischen Windspiel. Sie mussten etwas in ihm erkennen, das er selbst nicht sah. Ein Windspiel, das viel größer war als er, selbstsicher und entschlossen, eines, das Verantwortung übernommen hatte und dessen Fang und Krallen im schalen Mondlicht angriffslustig blitzten.
Dieses Windspiel war es dann, das wieder nach vorn rannte, das sein Tempo erhöhte und die anderen Hunde hinter sich durch den Nebel zog wie ein kraftvoller Magnet. Kalt schmeckten die Schwaden in Niccolòs offenem Maul, aus dem die Zunge hing.
Die ersten leichenfahlen Häuser traten wie Schlafwandler aus dem bleichen Hintergrund. Doch keine Wölfe, kein Knurren, kein Zähnefletschen, nichts.
Nachdem sie die Barrikaden am Dorfeingang überwunden hatten, rief Niccolò weitere Hunde zu sich nach vorn, ließ die Spitze breiter werden, so dass sie fast die Hälfte der Straße einnahm. Eine mächtige Mauer aus Reinigungsgestank waberte so über die Hauptstraße Rimellas in Richtung Kirche.
Wo waren nur die Wölfe?
Sie hatten doch Posten und Patrouillen.
Sie schafften es ohne Zwischenfall auf die Piazza, wo das Mondlicht stärker durch den Nebel drang. Der alte Brunnen stand vor ihnen, als wäre er eingefroren, die Dorfkirche Santi Giacomo e Cristoforo zeichnete sich schemenhaft wie ein drohendes Gewitter am Firmament ab.
Hier erst erhielt Niccolò eine Antwort auf seine Frage.
Sie war unmissverständlich.
Die erste Welle erfasste die zur Linken laufenden Dachshunde. Drei riesige Wölfe jagten aus dem Nebel, rissen ihre Mäuler auf, schlugen ihre Zähne in die kleinen Körper und waren wieder in Undurchdringbarkeit verschwunden, ehe irgendjemand reagieren konnte. Die zweite Welle schlug zu Niccolòs rechter Seite ein, dort, wo sich einige der Hunde Rimellas aufgebaut hatten. Hier griffen vier Wölfe an, trugen Blitz mit sich ins grauweiße Nichts.
Dann war ein Jaulen zu hören, gefolgt von einem Würgen.
Sie vertrugen das Shampoo nicht!
Es ekelte sie an.
Blitz kam zurückgehumpelt, die Brust stolzgeschwellt. Niccolò rief in die Runde. »Carabieniere, Houdini, Rosa Pudel ... wie heißt du eigentlich?«
»Nenn mich, wie du willst, Kleiner. Tun sowieso alle.« »Dann ... Pinkie.«
»Gefällt mir.«
»Kommt mit, wir gehen hoch zum Leitwolf. Er thront in Cinecittas Haus.« Zumindest war es ihres, als sie noch lebte, dachte Niccolò.
Dann kamen die Wildschweine.
Sie brachen durch, spalteten das Rudel der Hunde, schlugen eine Bresche, trieben ihre Gegner mit den Hauern vor sich her wie Vieh. Die Hunde hatten keine Chance.
» Los! «, brüllte Niccolò. Es ging nur um den Leitwolf, ohne diesen wären sie kopflos, Wölfe brauchten Ewigkeiten, um eine neue Ordnung herzustellen, sie wären keine Einheit mehr, die Verbündeten stünden ohne jemanden da, dessen Wort Gewicht hätte, sie würden verschwinden. Nur ein einziger Wolf musste dafür heute Nacht sterben.
Sein Tod würde nicht für Rache reichen. Nur für Frieden.
Die Wildschweine griffen erneut an.
Niccolò, schon im Tor des Hauses, drehte sich um. »Teilt euch auf, in Truppen von fünf, jede mit einem Hund aus Rimella. Sofort!«
Er hörte das dumpfe Geräusch, als die Wildschweine die nächsten Hunde hinwegfegten. Er konnte sehen, wie sie über einen Jack-Russell-Terrier trampelten, ihn in einen Klumpen aus Blut und Fleisch verwandelten. Es war der Große Bellachini. Er hatte keinen Trick gekannt, um diesem Ende zu entgehen.
Niccolò wandte sich wieder zum Haus.
Nur einen Wolf.
Er rannte die Treppen hoch. Im Inneren war die
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