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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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durch das geöffnete Oberfenster in den Raum sprang. Nur wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet. Giacomo sah den inneren Türknauf nass von Spucke glänzen, als er eintrat. Zirkushunde. Eine verrückte Truppe.
    Als er im spärlich eingerichteten Wohnzimmer stand, erkannte Giacomo am Geruch des Leders, dass es edel war. Nur einmal, als er bei einer der wenigen Reisen mit seinem Herrchen in einem teuren Hotel untergebracht war, hatte er Vergleichbares gerochen. Doch seine Aufmerksamkeit galt dem Geruch aus der Küche, die nur durch einen kleinen, türlosen Bogen vom Wohnzimmer getrennt war. Der mannshohe mattsilberne Kühlschrank stand offen, selbst das Tiefkühlfach war geöffnet, unter ihm war alles feucht vom geschmolzenen Eis. Auf dem weiß gekachelten Boden befanden sich zudem einige gesprungene Kühlschrankglasplatten, mitsamt zerplatzten Eiern, halb angenagten Würsten und Käsestücken, einer aufgebissenen Milchtüte und Butter mit gierigen Maulspuren.
    Giacomo hatte gelernt, sich seinen Schlund pelikangleich vollzustopfen, um möglichst viel mitgehen lassen zu können. Bellachini schien gar mehr zu tragen, als er selber wog. Doch sie waren noch nicht ganz fertig, als sie das rasend schnelle Getrappel kleiner Füße auf Metall hörten.
    Die Dachshunde.
    »Bist du schon einmal geflogen, Giacomo?«, fragte Bellachini mit übervollem Mund, spurtete aus der Wohnung und sprang über das Geländer. Der alte Trüffelhund rannte hinterher, blickte über die Brüstung. Unten war ein dichter Kirschlorbeer. Er würde seinen Fall abfedern.
    Wenn er ihn traf.
     
    Nur nachts laufen, dachte Aurelius, während seine Beine die Unebenheiten des erdigen Bodens abfederten, nur bei Mond, wenn die Zweibeiner schlafen. Und fern der Lichter, fern der Häuser und Straßen. Aurelius fürchtete die Zweibeiner, wie es seine Rasse seit Generationen tat. Nur von den Wölfen der Abruzzen wusste er, dass einige von ihnen des Nachts in den Siedlungen der Zweibeiner schliefen.
    Doch in jedem Tritt von Aurelius, in jedem Zucken nach einem Geräusch, lag die Frage, ob all diese Umsicht überhaupt nötig war. Sein Bruder hatte ihn mit diesem Auftrag sowieso auf das Schafott geschickt. Der Tod unter einem Gefährt der Zweibeiner konnte nicht unangenehmer und grausamer sein als das, was ihm nun bevorstand. Obwohl er so dachte, setzten sich seine Pfoten ohne zu zögern in langsamem Trab voreinander, nach Westen, Richtung Alpen. Der Mond lag prall und anbetungswürdig auf den hohen Pappeln, doch Aurelius erlaubte sich nicht anzuhalten und zu heulen. Hier gab es keine Wölfe, die ihm geantwortet hätten, nur Hunde, diese Missgeburten der Natur. Aurelius wollte lieber schnell vorankommen, wollte alles rasch beenden, und zwar auf die richtige Art und Weise. Ehrenvoll bei den Gebirgswölfen. Der kühle Nachtwind strich langsam über die Hügel des Langhe, die Weinstöcke zärtlich abkühlend. Nachts wuchs die Rebe, wie Aurelius einmal beobachtet hatte. Tagsüber dagegen tankte sie Kraft. Er war nun wie eine Rebe, denn bei Sonne würde er im Schatten schlafen und bei Mond würde er seinem Ziel näher kommen.
    Der Weg führte ihn in das nächste Tal, wo er durch den schmalen Streifen mit Bäumen lief, welchen die Zweibeiner hatten stehen lassen, eine Ahnung von Wald, von Heimat für Aurelius. Ein kehliger Aufschrei erinnerte ihn plötzlich an bessere Zeiten. Es war das Geräusch eines Tieres in Gefahr, eines Tieres, das um Hilfe rief.
    Leichte Beute.
    Aurelius wechselte ins Pirschen und näherte sich nahezu lautlos der immer drängenderen Wehklage. Verheißungsvolle Töne. Sein Kopf sank, seine Ohren stellten sich auf, vor ihm bewegte es sich im Gras. Nun konnte er auch Worte vernehmen.
    »Doch nicht heute! Das darf nicht sein. Sie warten doch auf mich!«
    Die Stimme war klein und wimmernd, es war nur noch genug Kraft zur Resignation übrig. Obwohl er keinen Hunger hatte, lief Aurelius das Wasser im Mund zusammen. Dies steigerte sich noch, als der Mond dank eines aufkommenden Windes kurz durch die Wolkendecke scheinen konnte. Direkt auf die Beute.
    Es war ein Hase.
    Sein Hinterlauf steckte in einer Schlinge. Er konnte nicht weg. Aurelius richtete sich auf und ging die letzten Meter ruhigen Schrittes. Dabei sagte er nichts, man sprach nicht mit Beute. Man tötete sie nur. Möglichst schnell. Nur die Kralle spielte mit ihrem Essen. Doch das entsprach nicht der Tradition.
    Aurelius wusste, dass seine Augen in der Nacht aufleuchteten, wenn Licht in

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