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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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sie fiel, deswegen hob er nun sein Haupt und ließ den Mond hineinscheinen. Seine Augen würden dadurch das Erste sein, was der Hase sah.
    »Nicht heute!«, rief dieser nun, anscheinend immer noch mit der Falle beschäftigt. »Ich will noch nicht sterben. Meine Familie braucht mich doch!«
    Was für ein Unsinn, dachte Aurelius. Hasenfamilien brauchen niemanden. Sie vermehren sich rasend schnell und sterben ebenso rasch. Ihr Leben ist kurz und wertlos.
    Die Hasenfalle war in einer kleinen Lichtung mit einer wild wuchernden Wiese aufgestellt worden, ein übliches Refugium für diese Beute. Die Schlinge war an einem schweren Eisenbolzen befestigt, der tief in den Boden getrieben worden war, damit der Hase sich nicht wieder losreißen konnte. Eine Lebendfalle. Frisches Fleisch. Obwohl die Beute die Grausamkeit der Falle kannte, versuchte sie verzweifelt, sich loszureißen, doch die Schlinge zog sich dadurch nur noch tiefer ins Fleisch.
    Er würde die Beute zuerst erdrücken, dachte Aurelius, und dann zubeißen.
    Plötzlich verharrte der Hase. Er zitterte, doch er bewegte sich nicht. Er hatte Aurelius erblickt und sah in seine leuchtenden Augen. Aurelius schaute zurück. Sah die Erwartung des Todes, gefangen in einer Falle, getötet von einem Wolf. So passierte es seit Hunderten von Jahren, es war Gesetz, und es gab keine andere Möglichkeit, als es zu befolgen. So wie er sich dem Befehl seines Bruders gebeugt hatte, wohl wissend, was er bedeutete, so ergab sich diese lächerliche kleine Beute nun in ihren Tod. Standhaft. Das Ende erwartend. Genau wie er – doch was brachte es? Es führte zu nichts. Es war dumm.
    Aurelius öffnete sein Maul und biss zu. Biss die Schlinge durch. Und wendete sich ab. Er würde heute sicher noch Beeren finden, einige davon konnten köstlich schmecken. Er war noch lange nicht hungrig.
    »Was hast du getan?«, fragte der Hase und bewegte sich immer noch nicht. »Du bist doch von Grarrs Meute? Bist du nicht sein Bruder? Sag, warum hast du mich denn nicht getötet?«
    Aurelius drehte sich nicht um, er ging wortlos zurück inden Wald, versank mit seinem grauen Fell in den Schatten der alten Bäume.
    »Das muss ich den anderen Tieren erzählen!«, rief der Hase. »Dass ein Wolf mich gerettet hat! Du bist ein guter Graurock. Der beste! Du solltest der Anführer sein. Möge dir ein langes, glückliches Leben beschert werden!«
    Aurelius drehte sich um und knurrte.
    Der Hase sprang davon.
     
    Strahlendes Weiß, heller als frisch gefallener Schnee, umschloss Niccolò. Die Luft schien zum Bersten voll davon. Es erinnerte ihn in seiner fast greifbaren Konsistenz an den Nebel, der die Hügel der Langhe im Herbst in Besitz nahm wie ein unbarmherziger Eroberer. Merkwürdigerweise schien das Weiß wie ein großes weiches Kissen zu sein. Es roch nach nichts, zumindest nach nichts, was er kannte. Obwohl. Es roch nach Tier, nach Hund. Aber nicht nur.
    Der Nebel löste sich auf. Machte Platz für ein anderes Weiß, dieses hatte graue Streifen, bildete Quadrate, ging an einer Seite über in ein schwaches, uneinheitliches Grau. Silberne Fäden zogen sich durch die Welt, und ein Kreis von Weiß lag um alles.
    Er bewegte den Kopf.
    Die Welt verschob sich, und Niccolò erkannte, dass die weißen Quadrate Kacheln, das Grau der Himmel im Fenster über ihm und die silbernen Fäden Gitter waren.
    Dann wurde es mit einem Klick dunkel.
    Niccolòs Betäubung ließ in der folgenden Stunde nach, der Schmerz nahm zu, mit ihm sein Denkvermögen. Er begriff nun, dass er bei einem Tierheiler war. Die Welt war nur deshalb rund mit weißen Rändern, weil er eine Halskrause trug. Eine solche hatte er schon mal bei Cinecitta gesehen, als diese daran gehindert werden sollte, sich an einer entzündeten Stelle am Bauch zu lecken.
    »Er ist wach!«, hörte Niccolò sagen. »Der Kleine ist wach! Er hat’s tatsächlich überlebt!« Jetzt wandte sich die raue Stimme direkt an ihn. »Du hast echt übel ausgesehen, als du gekommen bist.« Es war der Hund im Käfig nebenan, ein rosa Pudel mit gelber Schleife im Haar. »Der Wagen muss dich voll erwischt haben. Ich hab mitbekommen, wie ein Typ dich gebracht hat. Muss der gewesen sein, der dich umgenietet hat, hatte nämlich Panik in den Augen.« Der Pudel leckte sich die Pfote und fuhr sich über den federnden Haarschopf. »Schlaf dich jetzt besser aus, Windhündchen. Morgen früh gibt’s was zu futtern.«
    »In welchem Ort bin ich?«
    »Willst du mich veräppeln? In Alba, wo

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