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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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immer im Kreis entlang der Stäbe, denn wenn er rannte, fühlte er sich lebendig. Sein Brustkorb schmerzte noch, doch seine Pfoten nicht, seine Pfoten gehorchten ihm wie stets.
    »Hör endlich auf«, kam es von links. Das konnte nichtder Pudel sein. Niccolò ging näher, doch in der Dunkelheit konnte er nichts ausmachen. Egal. Seine Beine wollten sich bewegen. Es fühlte sich an, als gäbe es ein Ziel, dem er sich mit jedem Schritt näherte, als würde er nicht bloß im Kreis laufen. »Was willst du machen, wenn ich weiter renne? Mich durch die Gitterstäbe beißen?«
    Er rannte wieder los.
    »Du hast nach Giacomo gefragt. Wenn du mit dem Rumgelaufe aufhörst, erzähle ich dir von ihm. «
    Niccolò blieb stehen. »Wir sind im Geschäft.«
    »Komm näher, ans Gitter.«
    Niccolò folgte der Anweisung des Hundes aus dem Nachbarkäfig. Dieser selbst kam nicht heran. Er sprach nun leiser. »Wenn du Giacomo suchst, den Trüffelhund, dann musst du zur Kathedrale gehen. Da treibt er sich rum. «
    »Wohnt er nicht in einem Palast?«, fragte Niccolò. »Werden sie mich zu ihm lassen?«
    » Wer sie?«
    »Seine Menschen.«
    »Giacomo hat keine Menschen, und er lebt auch nicht in einem Palast. Er lebt auf der Straße.«
    »Was redest du da? Eine Legende wie er wohnt prachtvoll, wie all die anderen großen Hunde Albas. Das weiß doch jeder, Bruder. Du brauchst mich nicht für dumm zu verkaufen!«
    »Ich bin nicht dein Bruder.« Ein Kopf erschien im Eingang der Hütte. Er hatte raues Fell, und die Augen lagen tief unter buschigen Brauen. »Merk dir das! Dachshunde bleiben unter sich, klar? Ab jetzt werden wir zwei nicht mehr miteinander reden. Und du wirst nicht rennen.«
    Niccolò war verwirrt. Wenn der Dachshund über Giacomos Palast log, entsprach dann der Aufenthaltsort bei der Kathedrale der Wahrheit? Oder hatte er nur irgendwas gesagt, damit er aufhörte zu rennen?
    »Hast du mit Zamperl geredet, Windspiel?«, fragte der Pudel, welcher nahe am Gitter zu Niccolòs Käfig stand. »Das ist echt ’ne Leistung, Respekt. Merkwürdiger Bursche ist das, verkriecht sich immer im Dunkeln und isst partout keinen Fisch. Rührt das leckere Zeug aus Prinzip nicht an. Krank, wenn du mich fragst. – Oh, da kommt der nächste Mensch. Ein Weibchen! Das ist meine Chance. Sieh zu und lern vom Meister!«
    Der Pudel fing an zu winseln, und die Frau blieb tatsächlich stehen, legte verzückt die Fingerspitzen auf ihre Unterlippe, bevor sie die Handinnenfläche ans Gitter drückte, damit der Pudel daran riechen und sie ablecken konnte. Wie Niccolò ihn beneidete.
    Doch schon nach kurzer Zeit ging die Frau weiter, kam zu seinem Käfig, hob die Arme erfreut und ging in die Knie. Sie roch süß, fand Niccolò, nach Vanillepudding und Erdbeeren. Jetzt sagte sie etwas zu dem bärtigen Mann mit den breiten Schultern und dem Schlüsselbund, der wenige Schritte hinter ihr stand. Niccolòs Gatter wurde geöffnet, die Frau stand auf, um hereinzukommen, ihn zu umarmen, ihm Zuneigung zu schenken. Menschliche Wärme.
    Niccolò spurtete los, zwischen den Beinen der Frau hindurch, den Gang zwischen den Käfigen entlang, denn aus dieser Richtung war er gekommen, hier musste es wieder hinausgehen. Einige Menschen schrien, als er an ihnen vorbeiraste, eine Frau mit Beinen dick wie Schweinshaxen stellte sich ihm in den Weg und griff nach Niccolò, doch er entglitt ihr und gelangte bis zum großen Gatter. Dahinter lag die Freiheit, dort waren Alba, Giacomo und seine Menschen, alles, was er suchte, alles, was er brauchte.
    Doch das Tor war verschlossen.
     
    Laetitia trat aus Grarrs Höhle, aber fort ging sie nicht. In ihrem Fell spürte sie, woher der Wind wehte, und so verstecktesie sich hinter einem Zwergmispelstrauch am Höhleneingang, damit ihr Geruch nicht hineindrang. Sie schloss die Augen, um sich auf das Gespräch im Innern zu konzentrieren, welches drohte, vom Rascheln der dunkelgrünen Blätter des Busches überlagert zu werden. Grarr hatte bei der Paarung kein Wort mit ihr gewechselt, auch nicht vorher und nachher. So erging es seit einigen Jahren allen Wölfinnen.
    Als Grarrs Vater Leitwolf gewesen war, hatte dieser die Wölfinnen mit Lauten und Flüchen bedacht, was ihnen sehr gefiel. Nun fühlten sich die Paarungen wie Arbeit an.
    Vier Stimmen drangen so dumpf aus der Höhle, als stammten sie von Toten. Laetitita fing Fetzen auf, manchmal Sätze. Doch wenn einer der vier Wölfe im Inneren nicht in ihre Richtung sprach, brach der Strom der Worte ganz ab.

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