Tod an der Ruhr
Herumtreiberin ein Kind gezeugt hatte? Und konnte es nicht sein, dass die Alte mit ihren Kräutern dafür gesorgt hatte, dass Margarete es später wieder verlor?
»Im Sommer drauf konnte ich die Grete auf einem Hof in Hamborn unterbringen. Dass sie von da wieder weg ist, das war dumm«, erzählte Johanna Spieker weiter. »Das hat ihr ein junger Hüttenarbeiter eingebrockt. Der kam aus der Eifel und hat von seiner Heimat geschwärmt, wie es nur einer kann, der weit weg von zu Hause ist. Der Grete schien es das Land ihrer Träume zu sein, voller Sonnenschein und golden blühender Ginsterbüsche. Und da hat sie sich eben auf den Weg gemacht, die Träumerin. Angekommen ist sie in einem armseligen, kargen Bergland, wo es keine Arbeit für sie gab. Verzweifelt hat sie sich dort einigen Hausierern angeschlossen, und kurz drauf ist sie zum ersten Mal wegen Landstreicherei eingesperrt worden.«
»Ich weiß«, sagte Grottkamp. »Im Landesarmenhaus in Trier war sie damals. Aber dann, nach ihrer Entlassung, ist sie wieder zum Oppermann auf den Hof. Das verstehe ich nun allerdings gar nicht mehr.«
»Ich habe versucht, sie davon abzuhalten. Das können Sie mir glauben.« Johanna Spieker blickte hilflos ins Leere. »Oppermanns Frau war sterbenskrank damals. Und er hat der Grete versprochen, er werde sie zur Bäuerin machen. Das hat ihr gefallen. Margarete Sander als Herrin auf Oppermanns Hof. Das war so wie das Leben in ihren Träumen. Aber die Alte ist nicht gestorben. Sie haben sie auf einem Leiterwagen zur Clemenskirche gekarrt, zum Gnadenbild der Gottesmutter. Danach ist sie wieder gesund geworden. Die Leute haben es für ein Wunder gehalten. Ich glaube, es war die Strafe Gottes für August Oppermann. Seine Alte führt heute noch das Regiment auf dem Hof. Die Grete jedenfalls, die ist wieder weg, als klar war, dass aus der Heirat nichts werden konnte. Nach Köln hat es sie verschlagen, und da war es dann ein Inspektor von der Post, der ihr versprochen hat, sie zu seiner Frau zu machen. Und das dumme Mädchen hat natürlich auch ihm geglaubt.«
»Was in Köln war, das hat die Grete mir vor ein paar Tagen erzählt«, unterbrach Grottkamp die Alte.
»Und trotzdem halten Sie das Mädchen für eine Hure, die es sich selbst zuzuschreiben hat, dass sie in der Besserungsanstalt war?«
»Weißt du, dass Sie mit Julius Terfurth und mit dem Klumpenwirt ihr Bett geteilt hat?«, fragte Grottkamp zurück.
»Nein, davon weiß ich nichts«, sagte Johanna Spieker unwirsch.
ACHTZEHN
Ein Schwätzchen mit der Witwe Schlagedorn war anstrengend. Man musste gut zuhören können. Dabei waren die Geschichten, die die Gute erzählte, selten wirklich neu, auch wenn sie in der Metzgerei Reuschenbach oder im Gemischtwarenladen Lantermann gerade als Neuigkeiten gehandelt wurden. Eine ganze Menge Zeit musste man mitbringen, wenn man sich auf einen Plausch mit ihr einließ, und die hatte Martin Grottkamp nun mal nicht.
Dass er trotzdem in Erwägung zog, hinüberzugehen in die gute Stube seiner Vermieterin und sich ein Stündchen zu ihr zu setzen, lag an dem Duft, der an diesem späten Sonntagnachmittag durchs Haus zog.
Die Witwe war dabei, frische Kaffeebohnen zu rösten. Und Grottkamp wusste, dass der Kaffee seiner Vermieterin das hielt, was der betörende Duft versprach. Vom Kaffeebrennen verstand die Witwe Schlagedorn wirklich etwas. Nicht zu hell und nicht zu schwarz waren die Bohnen und gleichmäßig gegart, wenn sie aus ihrem Brennkessel kamen. Sie wusste, wie stark das Feuer sein musste und wie oft die knisternden Bohnen herunter mussten, um eine Weile abzukühlen, bis ihnen alle brenzligen Öle entwichen waren. Was nach dem Brennen in Frau Schlagedorns Handmühle fein gemahlen und schließlich aufgebrüht wurde, das war stets ein Kaffee von feinstem Wohlgeschmack.
Grottkamp wollte gerade zur Hintertür seiner Dienst- und Wohnstube hinaus ins Treppenhaus und hinüber zu seiner Vermieterin, als es zaghaft an der Außentür klopfte. Unwillig öffnete er. Draußen stand, nur mit Rock und Bluse bekleidet, so als wolle sie nicht wahrhaben, dass die schönen Spätsommertage endgültig vorüber waren, Margarete Sander.
Ohne ein Wort zu sprechen, sah sie den Polizeidiener fragend an. Grottkamp zögerte nur einen Augenblick, bevor er sich entschied, dem verlockenden Duft von Frau Schlagedorns Kaffee zu widerstehen. Schließlich war er heute schon bis zur alten Anna gelaufen, weil er mit der Schankmagd reden wollte. Und einen guten Kaffee, den
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