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Tod an der Ruhr

Tod an der Ruhr

Titel: Tod an der Ruhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Kersken
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Leute.«
    »Wie alt war sie, als sie zu dir gekommen ist?«
    »Neun war sie, im Winter 1855, als ihr Vater starb«, erinnerte Johanna Spieker sich. »Ihre Mutter, meine Base Agnes, die war schon zwei Jahre zuvor gestorben. Im Kindbett. Ich weiß gar nicht, wie viele Bälger sie auf die Welt gebracht hat, meine arme Base. Kaum eins ist älter als ein Jahr geworden. Die Agnes und ihr Mann, die konnten die Kinder einfach nicht satt bekommen, obwohl sie sich redlich gemüht haben. Er hat sich als Tagelöhner krumm gearbeitet. Aber was er mit nach Hause gebracht hat, das hat einfach nicht gereicht. Ein Elend war das, ein unvorstellbares Elend.«
    Ihre Erinnerungen ließen die alte Anna erschaudern. Schweigend und den Kopf schüttelnd saß sie eine Weile da, bevor sie weitererzählte.
    »Die einzigen, die nicht gestorben sind, waren die beiden Ältesten. Die waren schon irgendwo in Stellung, als die Eltern auf dem Totenbett lagen. Ja, und die Grete, die hat auch überlebt. Zäh war sie eben. Ich hab’s nie bereut, dass ich sie zu mir geholt habe. Obwohl ich ja selbst nichts hatte. Ein Sonnenschein war sie, meine kleine Grete. So aufgeweckt und so fröhlich, trotz allem, was sie schon erlebt hatte. Wenn die bösen Erinnerungen kamen, dann hat sie sich ganz schnell in ihre schönen Träume geflüchtet. So viele Träume hatte das Kind. Ach Gott.«
    Während der letzten Sätze war die Stimme der Alten immer brüchiger und leiser geworden.
    »Du sprichst ja von ihr, als wäre sie tot«, sagte Grottkamp erstaunt. »Dabei scheint sie mir höchst lebendig zu sein, die Schankmagd Margarete Sander.«
    »Das fröhliche, kleine Mädchen von damals, das mit den Träumen von einem schönen Leben, das gibt es nicht mehr«, entgegnete die alte Anna traurig. »Das Jahr im Zucht- und Arbeitshaus Brauweiler, das hat einen anderen Menschen aus der Grete gemacht. In der Weberei hat sie da gearbeitet, jeden Tag dreizehn Stunden, und des Nachts war sie im überfüllten Schlafsaal zusammengepfercht mit Kriminellen und Verrückten. Und die Aufseher, die haben sich gebärdet, als hätten sie eine Herde Vieh zu hüten.«
    »Ich erinnere mich noch daran, wie sie im Februar mit dem Entlassungsschein aus Brauweiler vor meiner Tür stand«, sagte Grottkamp nachdenklich. »Leid getan hat sie mir damals. Aber sie hat es sich nun mal selbst zuzuschreiben, dass sie im Gefängnis gelandet ist und danach im Arbeitshaus.«
    »So? Hat sie das?« Johanna Spieker lachte hämisch. »Nun, vielleicht muss der Herr Polizeisergeant das ja so sehen. Sonst würde am Ende noch seine Weltordnung aus den Fugen geraten.«
    Grottkamp schüttelte verständnislos den Kopf. »Du redest dumm daher«, knurrte er.
    »Und der Martin vom Grottkamphof, der weiß nicht, was er sagt«, keifte die Alte. Sie schlug mit der flachen Hand auf die zerschundene Tischplatte und funkelte Grottkamp böse an. Verstört versuchte er, ihrem Blick standzuhalten.
    Die Alte atmete heftig. Es dauerte eine Weile, bis sie sich beruhigt hatte. Als sie endlich weiter sprach, klang ihre Stimme müde.
    »Ich hätte sie eben nie zum August Oppermann geben dürfen, zu diesem Saukerl. Aber ich hab mich damals gefreut, dass so ein angesehener Herr die Grete auf seinen Hof nehmen wollte. Dreizehn war sie, und ich musste sie weggeben, weil ich nicht mehr wusste, wie ich uns beide satt kriegen sollte, das Kind und mich. Zwei Jahre war sie beim Oppermann, und ich war froh, dass sie bei ihm genug zu essen bekam. Wie teuer sie dafür bezahlen musste, davon hatte ich keine Ahnung.« Die alte Anna schüttelte traurig den Kopf. »Als der Bauer erfahren hat, dass die Kleine schwanger von ihm war, hat er sie vom Hof gejagt. Und die Grete hat sich davongemacht. Damals ist sie zum ersten Mal herumvagabundiert. Im Sommer 1861 war das. Im Dezember stand sie dann vor meiner Tür, durchgefroren, halb verhungert und mit einem dicken Bauch. Als der Herr Sergeant sie kurz drauf oben in der Kammer gesehen hat, da hatte sie gerade das Balg verloren, das der Oppermann ihr gemacht hatte. Und ich war heilfroh, dass sie selbst noch lebte.«
    Grottkamp dachte daran, wie wütend August Oppermann damals geworden war, als er sich bei ihm nach Margarete Sander erkundigt hatte. War etwa sein schlechtes Gewissen der Grund dafür gewesen? Möglich wäre es. Doch das, was Johanna Spieker da erzählte, war so ungeheuerlich, dass er es nicht glauben konnte. War es nicht viel wahrscheinlicher, dass irgendein Taugenichts mit der leichtsinnigen

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