Tod an der Ruhr
Hüttermannshof gebrannt worden war, stopfte Paul eine seiner beiden langen Pfeifen und fragte den Bruder unvermittelt: »Nun Martin, hast du es dir schon überlegt? Was hältst du davon, ein Hausbesitzer zu werden?«
»Der Gedanke behagt mir schon«, gab der jüngere Bruder zu. »Aber fruchtbare Äcker mit Häusern zu bebauen, das gefällt mir nun mal gar nicht.«
»Wenn wir unser Land nicht an die Hütte verkaufen, dann werden es andere tun. Gebaut wird so oder so. Die Frage ist nur, ob die Grottkamps was daran verdienen oder nicht.«
Martin nickte stumm. Er wusste, dass der Bruder recht hatte mit dem, was er sagte.
Hinter sich hörte er Sybilla und die Mutter hantieren. Sie schrubbten über der Spülschüssel Topf und Pfanne und das gute Besteck aus Krupp’schem Stahl. Eine Weile hatten die alte Bäuerin und die junge Magd angeregt darüber diskutiert, ob es denn wirklich notwendig sei, an hohen kirchlichen Festtagen im Stall und auf dem Feld zu arbeiten. Doch jetzt waren sie verstummt. Martin Grottkamp ahnte, dass sie ebenso gespannt wie der Bruder auf seine Antwort warteten.
Paul mahnte ihn: »Du musst auch an die Zukunft der Familie denken, die du einmal haben wirst!«
Ganz still war es mit einem Mal in der Küche auf dem Grottkamphof. Kein Topfgeklapper war mehr zu hören und kein Geschirrklirren. Martin Grottkamp war es, als seien die beiden Frauen hinter seinem Rücken erstarrt.
Eine Weile ließ er die Stille andauern, dann sagte er laut und vernehmlich: »Es ist wohl wahr, Paul, dass ein Familienvater deinen Vorschlag nicht ablehnen könnte. Und es ist auch wahr, dass ich gerne eine Familie hätte. Aber so wie die Dinge stehen, kann ich dir heute noch keine Antwort geben. Lass mir bitte noch ein paar Tage Zeit!«
Der Bauer Paul Grottkamp nickte verständnisvoll. »Kläre, was du zu klären hast!«, forderte er den jüngeren Bruder auf. »Aber viel Zeit hast du nicht. Die Herren von der Hüttengewerkschaft wollen bis Ende kommender Woche wissen, ob die Grottkamps ihr Angebot annehmen.«
»Kann man denn hier nicht mal in Ruhe scheißen?« Die alte Anna, die mit hochgerafften Röcken neben dem Misthaufen hinter ihrem Ziegenstall gehockt hatte, erhob sich ächzend und zog verdrossen ihre Kleider zurecht. Aus zusammengekniffenen Augen starrte sie ärgerlich dem Eindringling entgegen, der da unverhofft um die Ecke ihres Hauses getreten war.
»Ach, der Martin vom Grottkamphof ist das«, stellte sie erleichtert fest.
»Nichts für ungut, Johanna Spieker. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du gerade auf dem Misthaufen sitzt.«
»Erschreckt hat er mich, der Herr Polizeisergeant. Eine alte Frau muss ja denken, ihr letztes Stündchen könnt’ geschlagen haben, wenn da plötzlich ein Kerl um ihr Haus geschlichen kommt.«
»Erstens bin ich kein Kerl«, stellte Grottkamp klar, »und zweitens hab ich laut und vernehmlich nach dir gerufen.«
Die Alte winkte ab. »Wird wohl so sein, wird wohl so sein«, krächzte sie. »Aber die Augen und die Ohren, die sind nun mal nicht mehr die jüngsten. Da hilft kein Kräutchen mehr, kein Augentrost und rein gar nichts. So ist das eben, Herr Grottkamp, wenn man mehr als achtzig Jährchen auf dem Buckel hat. Da kann man schon froh sein, wenn’s mit dem Scheißen noch ganz ordentlich geht. Die Verdauung ist eh das Wichtigste. Wenn es stopft und drückt, dass der Mensch am Ende gar nicht mehr essen mag, dann ist es vorbei mit der Freude am Leben. Und solange die alte Anna noch kacken kann wie ihre Ziegen und ihre Hühner, will sie sich über nichts beklagen.«
Während Johanna Spieker vor sich hin brabbelte, schlurfte sie zur Vorderseite des heruntergekommenen Fachwerkhäuschens. Aus seinen Außenwänden war an etlichen Stellen die Lehmfüllung herausgebröckelt und gab den Blick frei auf das darunterliegende Flechtwerk aus Staken und Weiden.
Der Gedanke an einen kalten Wintertag hinter diesen abgewitterten Wänden ließ Martin Grottkamp frösteln. Er schlüpfte hinter der Alten durch die niedrige Haustür in die Küche und spürte, dass sich schon an diesem trüben Septembersonntag eine unangenehme Kühle im Inneren des Hauses breitmachte. Sie stieg aus dem gestampften Lehmboden herauf und strich durch die rußgeschwärzten Wände herein.
Die Glut auf der offenen Feuerstelle, aus der nur hin und wieder ein unruhiges Flämmchen züngelte, konnte die Kälte nicht aus dem Raum treiben. Der beißende Qualm, der aus der Glut kroch, fand nicht seinen Weg hinauf zur weiten
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