Tod an der Ruhr
Polizeisergeant, das passiert eben manchmal. Diese Steine sehen nun mal genauso aus wie Kartoffeln, und da gerät einem schon mal versehentlich einer dazwischen.«
»Einer?« Grottkamp nahm seine Dienstmütze vom Kopf und griff in den Korb, den Nepomukzena Huckes mit beiden Händen vor ihrer Brust hielt. Drei Steine holte er heraus, dann noch einen und noch einen, und legte sie, laut zählend, in seine Kappe. Nach dem fünften Stein fuhr er ungerührt fort: »Sechs, sieben, acht, neun, zehn.«
Der fette Bauer protestierte heftig. »Nein, das kann überhaupt nicht sein. Das sind keine Steine, das sind Kartoffeln, die Sie da rausholen.«
»Jetzt wollen Sie auch mich noch des Betruges bezichtigen? Das kann doch wohl nicht wahr sein!«, schnauzte Grottkamp den Mann an.
Über das rote Gesicht des Hiesfelder Kartoffelbauern rannen Schweißbäche, als Grottkamp weiterzählte. Bis sechzehn kam er, dann war seine Kappe übervoll. Er legte sie vorsichtig auf die Erde, nahm Frau Huckes den um fünf Steine und elf Kartoffeln erleichterten Korb ab und stellte ihn auf die eine Seite der rostigen Waage. Auf die andere setzte er ein Zehn-Pfund-Gewicht.
Der Bauer wusste, was er zu tun hatte. Kartoffel um Kartoffel ließ er in den Korb fallen, bis die beiden Waagschalen auf gleicher Höhe pendelten.
»Noch drei!«, kommandierte Grottkamp. »Der Korb wiegt schließlich auch was.« Seufzend kam der schwitzende Mann dem Befehl nach.
Martin Grottkamp nickte zufrieden und gab Nepomukzena Huckes den gut gefüllten Einkaufskorb zurück. Während er den Inhalt seiner Dienstkappe dazuschüttete, sagte er augenzwinkernd: »Die Steine müssen Sie jetzt allerdings auch mit nach Hause schleppen. Die gehören ja schließlich Ihnen.«
Dann wandte er sich noch einmal dem Kartoffelbauern zu: »Ab jetzt nehmen Sie nur noch zwei Silbergroschen für zehn Pfund! Ist das klar?«
»Aber Herr Polizeisergeant, Sie ruinieren mich. Ich habe drei Kinder, die müssen hungern, wenn ich meine Ernte verschleudere.«
»Hungern Sie lieber mal selbst ein bisschen!«, fuhr Grottkamp den Mann an. »Ich glaube, das würde Ihnen ganz gut tun.«
»Aber das ist nicht rechtens. Sie können mir doch nicht die Preise vorschreiben.«
»Verschmutzung des Sterkrader Mühlenteiches! Verleumdung einer ehrbaren Bürgerin! Mann, das kann Sie teuer zu stehen kommen«, sagte Grottkamp ungerührt.
»Zwei Silbergroschen für zehn Pfund. Das scheint mir ein regulärer Preis zu sein«, stöhnte der fette Kartoffelbauer entnervt.
Grottkamp klopfte seine Dienstmütze aus, setzte sie auf den Kopf und wandte sich grußlos ab.
»Vielen, vielen Dank, Herr Polizeisergeant«, sagte Nepomukzena Huckes glücklich, als sie außer Hörweite des Hiesfelder Bauern waren. »Aber dass mein Mann Ratsmitglied ist, das stimmt doch gar nicht.«
»Ach nein?« Grottkamp tat erstaunt. Dann fügte er verschmitzt hinzu: »Sehen Sie Frau Huckes, sogar ein Polizeidiener kann sich mal irren.«
Die Frau des Kranführers verstand. »Sie sind mir ja einer!«, sagte sie lachend und bedankte sich noch einmal überschwänglich.
Nachdem er sich von Nepomukzena Huckes verabschiedet hatte, schlenderte Grottkamp gut gelaunt über den Marktplatz.
Er war nicht groß, der Sterkrader Wochenmarkt, nicht zu vergleichen mit den Märkten in Duisburg oder Ruhrort, die Grottkamp gelegentlich besucht hatte.
Hier in Sterkrade lebten die meisten Menschen noch nicht in eilig hochgezogenen Mietskasernen, sondern in kleinen Doppelhäusern aus Ziegelsteinen, mit einem separaten Eingang und einem Garten für jede Familie. Vorbild für diesen Baustil, der den Arbeiterfamilien die Möglichkeit gab, sich selbst mit Kartoffeln, Gemüse und Obst zu versorgen, war die Kolonie Eisenheim, die ersten Arbeitersiedlung an Ruhr und Emscher, mit deren Bau die Hüttengewerkschaft Jacobi, Haniel & Huyssen schon vor zwanzig Jahren begonnen hatte.
Der große Garten, die Ziege im Stall, ein paar Hühner und ein Ferkel, das im Frühjahr gekauft und bis zum Herbst großgefüttert wurde, gehörten zum Leben vieler Hüttenarbeiter und ihrer Familien.
Dennoch gewann der Sterkrader Wochenmarkt in jüngster Zeit immer mehr an Bedeutung. Trotz aller Plackerei ließ sich nun mal nicht alles aus der eigenen Erde holen, was eine vielköpfige Familie zum Überleben brauchte. Und auch in Sterkrade wuchs ganz allmählich die Zahl derer, die ohne ein eigenes Stück Land zur Miete wohnen mussten.
Die Arbeiterfrauen mit den Kopftüchern, den schlichten
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