Tod an der Ruhr
nicht bemerkt, dass er mitten auf dem Schienenstrang der Werksbahn gestanden hatte.
»Danke«, murmelte er und besah sich den Mann, der da plötzlich neben ihm stand. Er war auch mit Hut noch einen Kopf kleiner als Grottkamp, trug eine eng geknöpfte Weste, an der protzig eine dicke Uhrkette baumelte, hatte beide Hände in die Hosentaschen gesteckt und sah den Polizeidiener abschätzend an.
»Wenn Sie spazieren gehen wollen, sind Sie hier am falschen Platz«, sagte er übellaunig, ohne den Zigarrenstummel zu verlieren, der in seinem Mundwinkel hing.
Grottkamp nahm an, einen Hüttenbeamten vor sich zu haben, der sich offenbar einiges auf seine gehobene Stellung einbildete. Der herablassende Blick, mit dem der Mann ihn musterte, missfiel Grottkamp aufs Äußerste. So mochte der zu klein geratene Kerl seine Untergebenen einschüchtern, aber nicht ihn, den Polizeidiener von Sterkrade.
»Ich suche die beiden jungen Arbeiter, die gestern den toten Hammerschmied Julius Terfurth gefunden haben«, sagte Grottkamp kühl.
»Die haben von zwölf bis eins Mittag, und um sechs haben sie Feierabend«, entgegnete der Hüttenbeamte unfreundlich, und Grottkamp ahnte, wen er vor sich hatte.
»Sind Sie der Meister der beiden?«
»So ist es.«
»Das trifft sich gut. Mit Ihnen habe ich auch zu reden.«
»So, so.«
»In einer wichtigen polizeilichen Angelegenheit«, fügte Grottkamp energisch hinzu.
Mit einem schrillen Pfeifton setzte sich die Lokomotive der Werksbahn in Bewegung. Sie hüllte sich in weiße Dampfwolken, während sie ächzend ihre schwere Last in Richtung Tor zog.
Der Hüttenmeister schlenderte zu einer Holzbank, die etwa zwanzig Schritte von der Werkshalle entfernt stand, setzte sich und entzündete seinen Zigarrenstummel. Grottkamp nahm unaufgefordert neben ihm Platz und stellte erleichtert fest: »Hier kann man wenigstens sein eigenes Wort verstehen.«
»Vor allem habe ich von hier aus die Abtritte im Auge und kann sehen, wer sich im Scheißhaus herumtreibt, anstatt zu arbeiten«, sagte der Hüttenbeamte.
»Was sein muss, das muss nun mal sein«, hielt Grottkamp ihm entgegen, »auch während der Arbeit.«
»Aber nicht länger als drei Minuten, sonst gibt es eine halbe Stunde Abzug«, erklärte der Meister und paffte an seiner Zigarre. Nach einer Weile fragte er mürrisch: »Worüber wollten Sie mit mir reden?«
»Nun, ich wollte Ihnen mitteilen, dass der Herr Gemeindevorsteher sich sehr erfreut über das Pflichtbewusstsein Ihrer beiden jungen Arbeiter gezeigt hat.«
»So? Hat er das?«
»Ja, er meint, dass sie sich vorbildlich verhalten haben. Zuerst haben sie versucht, dem verunglückten Hammerschmied zu helfen. Als sie feststellten, dass das nicht mehr möglich war, haben sie die Obrigkeit, den Herrn Pfarrer und den Heildiener verständigt. Zwei junge Männer, die so umsichtig ihrer Bürgerpflicht nachkommen, sollten dafür belobigt werden, meint der Herr Gemeindevorsteher.«
»So? Meint er das?«, knurrte der Meister.
»Wenn ich ihn recht verstanden habe, hat er bereits mit dem Hüttendirektor persönlich und einigen Oberingenieuren über die Angelegenheit gesprochen. Er trifft den Herrn Haniel, den jungen Herrn Jacobi und den jungen Herrn Lueg ja beinahe jeden Abend in der Gesellschaft Erholung.«
Die Namen verfehlten ihre Wirkung bei dem Meister der Kesselschmiede nicht. Dass die drei wichtigsten Männer der Hüttengewerkschaft in dieser Angelegenheit im Spiel sein sollten, beeindruckte ihn offensichtlich.
»Der Generaldirektor Haniel war, so weit ich weiß, vom vorbildlichen Verhalten der beiden jungen Männer sehr angetan«, fabulierte Grottkamp weiter. Der kleine Mann an seiner Seite schien noch ein Stück kleiner zu werden. Das beflügelte Grottkamps Phantasie. »Auch für die Hüttenbeamten, die ihre Arbeiter zur Erfüllung ihrer Bürgerpflichten anhalten, soll der Herr Direktor lobende Worte gefunden haben«, fügte er hinzu.
Der Meister fühlte sich sichtlich unwohl. Er rutschte unruhig auf der Holzbank hin und her, warf den Rest seines Zigarrenstummels auf den Boden und trat ihn so energisch aus, dass nur braune Tabakbrösel von ihm übrig blieben.
»Nun, ich nehme an, dass Sie den beiden jungen Männern auch schon ein Lob ausgesprochen haben«, sagte Grottkamp lauernd.
»Ja natürlich. Ich wollte es zumindest tun. Nur, wissen Sie, vor lauter Arbeit bin ich dazu noch gar nicht gekommen. Aber ich werde es natürlich so bald wie möglich nachholen.« Der Meister zog ein Schnupftuch aus
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