Tod an der Ruhr
Röcken aus robusten Drillichstoffen und den vorgebundenen Schürzen prägten das Bild des Wochenmarktes. Doch auch immer mehr Bürgersfrauen mit schicken Jackenkleidern und feschen Hütchen spazierten zwischen den Marktständen umher.
Etliche gut verdienende Ingenieure und Hüttenbeamte waren in letzter Zeit zugezogen. Sie schätzten die schwere Gartenarbeit am Feierabend nicht und hatten sie auch nicht nötig. Dasselbe galt für Geschäftsleute und alteingesessene Bürger, die durch Landverkäufe oder den Bau von Mietshäusern wohlhabend geworden waren.
Zwischen den Handkarren und Leiterwagen, auf denen zumeist Landwirte aus der Umgebung in Säcken, Kisten oder Fässern ihre Rüben und Wurzeln, ihre Erbsen, Linsen, Bohnen oder ihre Kohlköpfe und Kartoffeln feilboten, standen überall Grüppchen von Frauen, die miteinander schwatzten.
Manche von ihnen waren heute selbst mit Handkarren gekommen, denn Anfang September begann die Zeit, in der die Bauern aus der Weseler Gegend ihren Weißkohl verkauften. Und wenn die Kappesburen, wie die Sterkrader sie nannten, auf dem Markt waren, dann musste eine Hausfrau bis zu zweihundert Pfund Kohl nach Hause schaffen und ins Sauerkrautfass einstampfen. Auch Schneidebohnen und weiße Rüben wurden jetzt in großen Mengen gekauft und für den Winter in Fässer eingelegt.
Einige Arbeiterfrauen waren als Händlerinnen zum Markt gekommen. Wenn das eigene Stück Land mehr hergab, als die Familie brauchte, war hier der eine oder andere Pfennig dazuzuverdienen.
Grottkamp steuerte auf drei Frauen zu, die am Rande des Marktplatzes vor der Villa Haniel standen. Die eine hatte einige Tücher ausgebreitet, auf denen frische Pilze lagen, die zweite bot kleine Sträuße weißer Nelken an, und die dritte hatte eine Kiepe voller Pflaumen vor sich stehen.
Alle drei waren am Morgen, als Grottkamp die Marktstandsgelder kassiert hatte, noch nicht da gewesen. Doch sie wussten, dass sie vom Herrn Polizeidiener nichts zu befürchten hatten.
Martin Grottkamp brachte es nicht über sich, ihnen von den paar Pfennigen, die sie hier verdienen konnten, noch das Marktgeld abzuknöpfen, zumal sie ja, wenn man die Sache genau betrachtete, eigentlich keinen richtigen Marktstand betrieben.
Bei der Frau mit den Pilzen hatte er schon hin und wieder sein Mittagessen gekauft. Seit Kindertagen gehörten frische Waldpilze, mit Zwiebeln in etwas Fett angeschmort, zu seinen Lieblingsgerichten.
»Guten Tag, Herr Polizeisergeant. Alles ganz frisch, gestern Abend erst aus dem Wald geholt«, begrüßte ihn die Pilzverkäuferin.
»Was haben Sie denn heute?«, wollte Grottkamp wissen.
»Hier, die Riesentäuschlinge, die kann ich Ihnen empfehlen. Die gibt es nur von August bis Oktober, wirklich was ganz Besonderes. Aber Pfifferlinge und Steinpilze können Sie natürlich auch haben. Und hier hab ich schon ein paar Austernseitlinge gefunden, die allerersten.«
»Was sollen die Riesentäuschlinge denn kosten?«
»Na, weil Sie es sind, Herr Sergeant, eine Handvoll Pilze für fünf Pfennige.«
»Dann geben Sie mir mal zwei Hände voll, aber zwei große Hände, wenn ich bitten darf. Und ich gebe Ihnen einen Silbergroschen dafür. Was halten Sie davon?«
»Das ist sehr großzügig, Herr Polizeisergeant. Aber einen Korb haben Sie wohl nicht dabei?«
Grottkamp schüttelte den Kopf.
»Das macht nichts, Herr Sergeant. Für solche Fälle habe ich doch immer ein paar Zeitungsblätter. Und daraus machen wir jetzt eine schöne, große Tüte. Sehen Sie, so geht das. Platz genug für zwei große Hände voll Riesentäuschlinge.« Die Frau lachte. »Aber immer gut festhalten die Tüte, sonst rutschen die schönen Pilze noch unten raus.«
Vor der Einmündung in die Klostergasse stand, wie jede Woche, der Tuchhändler aus Mülheim neben seinem Stand, einem breiten Brett auf zwei Holzböcken. Er pries seine Ware an, als handelte es sich dabei um prachtvollstes Goldgewebe aus dem fernen Orient.
»Meine Damen, meine Damen, das Feinste vom Feinen finden Sie hier. Ob Leinwand, Zwillich oder Drillich, alles wunderbar verarbeitete Stoffe. Oder ein paar hauchzarte Leinenstrümpfe gefällig? Zum Vorzugspreis natürlich für die Damen von Sterkrade. Auch Leingarn, Zwirn und Bänder in allen Farben finden Sie bei mir. Kommen Sie meine Damen, schauen Sie sich die Pracht wenigstens mal an!«
Grottkamp amüsierte sich über den geschwätzigen Kerl, der jetzt noch ein wenig lauter wurde, weil er ein quiekendes Ferkel übertönen musste. Erfolg
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