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Tod an der Ruhr

Tod an der Ruhr

Titel: Tod an der Ruhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Kersken
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sorgen und Panik verbreiten. Dabei müssen wir gerade jetzt alles daran setzen, dass die öffentliche Ordnung aufrechterhalten bleibt, dass das Leben so ungestört wie möglich seinen Lauf nimmt. Und noch eins kommt hinzu, Grottkamp: Wir wissen doch einfach viel zu wenig über diese elende Seuche, um dergleichen Maßnahmen rechtfertigen zu können. In der Zeitung habe ich gestern gelesen, dass unsere Truppen den Rückmarsch aus den Kriegsgebieten angetreten haben. Für die Monatsmitte ist ein feierlicher Empfang der glorreichen Armee in Berlin geplant. Bei dieser Siegesparade werden sich voraussichtlich Zigtausende in den Straßen drängen. Glauben Sie denn, König Wilhelm würde einem solchen Massenauflauf zustimmen und selbst daran teilnehmen, wenn dadurch eine weitere Verbreitung der Cholera in der Hauptstadt des Königreiches begünstigt würde?«
    »Vermutlich nicht«, gab Grottkamp zu. Und weil ihm einleuchtete, dass jeder Bruch mit dem Gewohnten gerade in schwierigen Zeiten die Menschen nur verunsichern würde, fügte er hinzu: »Sie haben wohl recht, Herr Vorsteher. Wir sollten dafür sorgen, dass das Leben möglichst ungestört seinen Lauf nimmt.«
    Carl Overberg lächelte zufrieden. Dass er diesen knorrigen Polizeidiener, diesen Sterkrader Dickschädel, hin und wieder dazu bringen konnte, die Dinge so zu sehen wie er selbst, war zweifellos seiner Klugheit und seiner Beredsamkeit zu verdanken.
    »Kommen Sie, Grottkamp, setzen Sie sich zu mir«, sagte er jovial, während er in einem der beiden gepolsterten Lehnstühle Platz nahm, die um den Salontisch beim Bücherschrank standen.

    Grottkamp war erstaunt, tauschte jedoch bereitwillig seinen harten Stuhl gegen den noch freien Sessel am runden Tischchen, das auch heute von Büchern, Akten und Zeitungen bedeckt war.
    Die gehobene Stimmung seines Vorgesetzten befremdete ihn allerdings. Nun gut, die explosionsartige Ausbreitung der Cholera war der Gemeinde Sterkrade bislang erspart geblieben, aber der Totengräber Fritzken Balthus hatte immer noch reichlich zu tun. Außerdem trieben Felddiebe ihr Unwesen, und ein Mörder lief frei herum. Da konnte eine reparierte Gefängnistür wohl kaum Anlass genug sein, sich behaglich im weichen Sessel der Selbstzufriedenheit zurückzulehnen.
    »Grottkamp, es geht aufwärts mit der Gemeinde Sterkrade«, sagte Overberg und bot seinem Polizeisergeanten eine Zigarre an.
    Das hatte er bisher nur einmal getan, nämlich am Tag nach seiner Wahl zum Gemeindevorsteher.
    Verwirrt nahm Martin Grottkamp an, obwohl er den Geschmack verabscheute, den der beißende Qualm einer Zigarre auf der Zunge hinterließ.
    »Wie würde es Ihnen denn gefallen, eines Tages Polizeidiener der Bürgermeisterei Sterkrade zu sein und Ihre morgendlichen Dienstgespräche mit dem Bürgermeister Overberg persönlich zu führen?«, fragte der Vorsteher und ließ ein paar dicke Rauchwolken aufsteigen.
    »Gut«, sagte Grottkamp überrascht und schickte dem Qualm seines Vorgesetzten ein paar selbst fabrizierte Wölkchen hinterher.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch! Noch sind das Träume. Aber die Zahlen sprechen dafür, dass sie über kurz oder lang Realität werden müssen.«
    »Welche Zahlen, Herr Vorsteher?«
    »Nun, mein lieber Grottkamp, seit ein paar Tagen bin ich mit der Aufstellung der Jahresrechnung der Communalkasse beschäftigt, mit der vorläufigen natürlich. So wie es aussieht, wird die Gemeinde Sterkrade im Jahr 1866 Einnahmen von rund neuntausend Talern verbuchen.«
    »Das ist mehr als wir brauchen, nehme ich an«, sagte Grottkamp unsicher.
    Overberg lachte. »Auf der Ausgabenseite stehen rund tausend Taler für das Verwaltungswesen, etwa hundertdreißig Taler für Polizeiaufgaben, achthundert bis neunhundert für die Armenpflege und noch mal knapp zweihundert Taler Kirchen- und Schulausgaben. Nun ja, eine Menge investieren müssen wir dieses Jahr in den Ausbau und die Unterhaltung von Straßen und Wegen, ich schätze, rund eineinhalbtausend Taler. Das bedeutet, über den Daumen gerechnet, dass wir nach Erledigung aller gemeindlichen Aufgaben noch fünftausend Taler übrig haben werden.«
    Aus Grottkamps offenem Mund stiegen unkontrolliert ein paar Qualmwölkchen auf und trieben ihm Tränen in die Augen.
    Overberg lachte wieder. »Das ist nun wirklich kein Grund zum Weinen, Grottkamp. Für 1866 können wir etwa sechshundertsiebzig Taler an Zinserträgen verbuchen. Wenn wir die fünftausend Taler Überschuss aus diesem Jahr zur Hälfte in die Sparkasse

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