Tod an der Ruhr
wollte.«
»Mensch, Grottkamp, wissen Sie eigentlich, was Sie da sagen?« Overberg hielt es nicht mehr in seinem Sessel. Aufgeschreckt lief er in seinem Bureau auf und ab. »Es ist möglich, dass Sie da einer Sache auf die Spur gekommen sind, deren Dimensionen Sie noch gar nicht erfasst haben.«
»So, so«, knurrte Grottkamp.
»Ein Engländer! Überlegen Sie doch mal! In welchem Land war die Industrie uns jahrzehntelang immer ein paar Schritte voraus? In welchem Land fürchtet man die mächtige Konkurrenz, die hier in den Westprovinzen des Königreiches Preußen heranwächst, mehr als irgendwo sonst auf der Welt? In welchem Land ist man wohl geradezu versessen darauf, möglichst genau über die Fortschritte der Eisenindustrie an Ruhr und Emscher Bescheid zu wissen?«
»In England«, nahm Grottkamp an.
Sterkrades Gemeindevorsteher blieb vor dem Sessel stehen, in dem sein von Tabakrauch umnebelter Polizeidiener saß und gespannt seinen Ausführungen lauschte.
»Grottkamp, Grottkamp!« Carl Overbergs Stimme klang belegt, obwohl er schon eine Weile nicht mehr an seiner Zigarre gezogen hatte. »Es sieht ganz so aus, als hätten Ihre Nachforschungen im Todesfall Terfurth uns auf die Spur eines englischen Industriespions geführt.«
Der mächtige, rot glühende Stahlblock schwebte über dem Amboss.
Sechs Helfer drückten und stießen, zogen und zerrten mit Eisenstangen und Ketten das schwere Werkstück in die Position, die der Mann mit dem Hut, der ein paar Schritte vor dem Dampfhammer stand, für die richtige hielt. Auf sein Handzeichen hin ließ der Kranführer den Stahlblock auf den Schmiedesattel sinken.
Wie ein Dirigent ohne Taktstock bewegte der Mann vor dem Dampfhammer seine Hände durch die Luft. Der Hammerführer nickte kurz, zog an einem Hebel und setzte damit das Schlaggewicht in Gang. Er stand auf einer kleinen Bühne seitlich des dröhnenden Hammers, hielt den Hebel umfasst und beobachtete den Mann mit dem Hut mit größter Aufmerksamkeit. Doch dessen Handzeichen galten jetzt den Helfern, die sich mühten, mit ihren Stangen und Ketten die Lage des Stahlblocks fortwährend zu verändern, während das tonnenschwere Schlaggewicht ein ums andere Mal darauf niederdonnerte.
Martin Grottkamp war fasziniert vom stummen Zusammenspiel der Männer, die zwischen Glühofen und Schlaghammer mit ungeheuerem Kraftaufwand und zugleich mit großer Präzision ihre harte Arbeit verrichteten. Der ohrenbetäubende Lärm machte ihm zu schaffen. Er war froh, als Meister Klöser ihm auf die Schulter klopfte und mit der Hand zum offenen Tor der Werkshalle deutete.
Während die beiden Männer gemächlich über das Gelände der Gutehoffnungshütte schlenderten, erfuhr Grottkamp von Friedrich Klöser, dass er gerade die Entstehung eines Stahlträgers für eine Rheinbrücke beobachtet hatte. Allerdings sei die Bearbeitung des Werkstückes unter dem Dampfhammer nur ein Bruchteil des höchst komplizierten Fertigungsprozesses, den er, Friedrich Klöser, Meister in der Hammerschmiede der Hüttengewerkschaft Jacobi, Haniel & Huyssen, zu überwachen und zu koordinieren habe. Dabei seien die Schmiede seine wichtigsten Mitarbeiter.
Ja, der Julius Terfurth, der sei ein ganz hervorragender Hammerschmied gewesen, aber auch der Mann mit dem Hut, den der Herr Sergeant gerade gesehen habe, sei ein wirklicher Spitzenkönner.
»Der Schmied ist unbestritten die Nummer eins in der Kolonne. Meistens ist er der Einzige, der über eine Ausbildung verfügt, zumindest aber über einen enorm großen Erfahrungsschatz. Ein guter Hammerschmied, so einer wie der Terfurth, der weiß genau, wie sich die Struktur des Materials während des Schmiedens verändert. Der erkennt allein an der Farbe des Stahls, der aus dem Glühofen kommt, die richtige Schmiedetemperatur«, erklärte Friedrich Klöser.
»Er wählt das passende Schlaggewicht und den richtigen Amboss aus, und er dirigiert den gesamten Arbeitsablauf durch Handzeichen. Mündliche Anweisungen zu geben, ist bei dem Lärm einfach nicht möglich. Aber das haben Sie ja gerade selbst mitgekriegt. Die Zeichensprache des Schmieds muss klar und eindeutig sein. Jeder Mann in seiner Kolonne muss sie verstehen und genauestens befolgen. Das gilt für die Transportgehilfen, die die glühenden Rohlinge vom Ofen zum Hammer schaffen und für den Kranführer. Das gilt erst recht für die Hebler, die mit großem Kraftaufwand das Werkstück unter dem Schlaggewicht hin und her bewegen, und natürlich für den
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