Tod an der Ruhr
Martin Grottkamp noch nie so farblos erschienen wie in diesem Augenblick.
»Kaum hat man den Klumpenwirt tot in seinem Bett gefunden, schon ist der Herr Polizeisergeant an Ort und Stelle.« Jacob Möllenbeck bemühte sich um ein Lächeln. »Wer hat dich denn schon von Küppkens Ableben informiert?«
»Niemand«, antwortete Grottkamp. »Ich wusste nicht, dass Küppken tot ist. Ich wollte ihm ein paar Fragen stellen. Deshalb bin ich hier. Und die Preiszettel in den Logiszimmern wollte ich kontrollieren.«
»Jetzt sucht der Herr Wirt wahrscheinlich gerade nach den passenden Antworten auf die Fragen, die der da oben ihm stellt«, vermutete Möllenbeck und wies mit dem Zeigefinger durch die rauchgeschwärzte Holzdecke der Schankstube hindurch in himmlische Gefilde.
»Wann ist er gestorben?«, fragte Grottkamp.
»Vor einer ganzen Weile schon«, erklärte der Heildiener. »Die Mädchen haben ihn kurz vor Mitternacht noch lebend angetroffen. Bald darauf muss es vorbei gewesen sein mit ihm, wahrscheinlich in der ersten Stunde des Tages.«
»Vorgestern habe ich noch mit ihm da drüben am Tisch gesessen«, sagte Grottkamp.
»Ja, es war schnell zu Ende mit dem Küppken.« Möllenbeck seufzte. »Aber so kann es halt gehen mit der verfluchten Cholera. Gestern Morgen hat er die ersten Symptome gespürt, sagen die Mädchen. Er hat sie nicht ernst genommen.«
»Er hat gedacht, er hätte nur zu viel getrunken.«
Der Heildiener nickte. »Jetzt liegt er da oben in seinem Kot und in seinem Erbrochenen. Ein erbärmliches Bild. Willst du ihn dir noch ansehen?«
Grottkamp zuckte mit den Achseln.
»Lass es lieber! Es bringt ohnehin nichts«, riet Möllenbeck ihm. »Er ist tot. Die Cholera hat ihn dahingerafft. Und wer nicht dringend in die Kammer muss, der sollte sie lieber nicht betreten.«
»Weil man sich anstecken könnte?«
»Man kann nicht vorsichtig genug sein.«
»Wäre es denn nicht besser, das Gasthaus vorläufig zu schließen?«, fragte Grottkamp.
»Heute gibt’s keinen Ausschank. Das habe ich mit der Margarete und der Maria schon besprochen. Morgen kann die Gaststube wieder geöffnet werden. Von mir aus jedenfalls. Und du kennst ja Overbergs Auffassung: In Zeiten wie diesen sollte das Leben so normal wie möglich weitergehen.«
Grottkamp nickte.
»Ich werde heute noch die Kammer desinfizieren, die Wäsche verbrennen und dafür sorgen, dass der Leichnam eingesargt wird.«
»Und wie steht’s in der Baracke?«
»Ich bin noch nicht da gewesen«, antwortete der Heildiener müde. »Die Frau Schmitting hält die Stellung. Aber bevor ich hier mit der Arbeit anfange, werde ich dort noch nach dem Rechten sehen.«
Martin Grottkamp schüttelte den Kopf. »Du siehst schlecht aus, Jacob«, stellte er fest. »Du mutest dir zu viel zu.«
»Ich muss mich um die Kranken kümmern«, sagte der Heildiener. »Und um die Toten«, fügte er mit dünner Stimme hinzu.
Grottkamp hätte ihm gern widersprochen, aber er wusste, dass Möllenbeck recht hatte.
»Wenn’s nur nicht so sinnlos wäre«, murmelte der Heildiener.
»Jetzt hör auf, Jacob!«, schimpfte Grottkamp. »Du weißt genau, wie wichtig deine Arbeit ist. Es wären schon viel mehr Menschen an der Cholera gestorben, wenn du dich nicht um die Erkrankten kümmern würdest, wenn du nicht ihre Familien aufklären und ihre Wohnungen desinfizieren würdest.«
»Ist schon recht, Martin. Ich meine ja auch nur, dass mir alles leichter fallen würde, wenn ich den Kranken wirklich helfen könnte, wenn ich nicht zusehen müsste, wie mir einer nach dem anderen unter den Händen wegstirbt.«
»Du musst mal an was anderes denken als an diese verdammte Cholera! Du ruinierst dich. Wenn du so weitermachst, bist du bald selbst ein Fall für Fritzken Balthus«, ereiferte sich Grottkamp. »Wer die schönen Dinge des Lebens nicht mehr genießen kann, weil er nur noch mit Krankheit und Tod befasst ist, der geht vor die Hunde.«
»Die schönen Dinge des Lebens?« Jacob Möllenbeck sah seinen Freund mit großen Augen an. »Was meinst du denn damit?«
»Einen Soloabend mit alten Freunden oder ein gutes Bier in der Marktschänke meine ich damit. Ein interessantes Buch am warmen Ofen kann auch etwas Schönes sein. Und natürlich die Liebe einer Frau. Die ist vielleicht doch das Schönste, was das Leben uns Männern zu bieten hat.«
»Wie redest du denn daher, Martin Grottkamp? Seitdem die Elisabeth dich damals enttäuscht hat, hast du nicht mehr so gesprochen. Und jetzt kommt dir auf einmal in
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