Tod Auf Dem Jakobsweg
Hotelhalle. Sie folgte ihnen und beobachtete, in einen Hauseingang gedrückt, mit unbewegter Miene, wie Leo die Mappe öffnete und hastig die Papiere durchstöberte, wie sie triumphierend eine kleine weiße Karte hochhielt, wie sie Nina etwas diktierte, die Karte zurücklegte und die Mappe schloss.
Gerade rechtzeitig, bevor Jakob auf die Straße trat, glücklich, dass Leo und Nina seine vergessenen Unterlagen gerettet hatten.
Dass Hedda nach Jakob als Letzte in den Bus stieg, fiel weder Nina noch Leo auf.
Ignacio lotste sein großes Gefährt geduldig durch den morgendlichen Verkehr, ein Stau direkt vor der Templerburg am Ufer des Sil bot eine letzte Gelegenheit, das in der modernen Stadt und mit einem Förderturm im Hintergrund besonders unwirklich erscheinende mittelalterliche Gemäuer in Ruhe zu betrachten. Das klare Morgenlicht machte seine immense Größe und kalte Trutzigkeit noch deutlicher. Niemand, so stellte sich nun heraus, hatte gestern die wenigen freien Stunden genutzt, es von innen zu besichtigen. Nicht einmal Eva, sonst immer auf der Jagd nach besondere Kraft und Ausstrahlung verheißenden Orten und Plätzen. Diese Reise, klagte sie, biete einfach viel zu viel für die kurze Zeit.
Jakob überhörte die Kritik und lachte zufrieden. Dafür könne er nichts, so sei es nun mal auf einer Wanderreise, er nehme das als ein passendes Kompliment für den Jakobsweg. Wenn man ihn auch zwanzigmal bereise, man entdecke immer wieder Neues und Überraschendes, in tausendzweihundert Jahren komme einiges Sehenswerte zusammen.
Fritz murmelte, ihm reiche das Programm vollkommen, die vielen Madonnen- und Jakobsstatuen verfolgten ihn schon bis in den Schlaf, von den Wegweisern mit dem Muschelzeichen gar nicht erst zu reden. Aber das hörte Eva nicht, sie saß zu weit von ihm entfernt.
Nach einer Stunde hatten sie Ambasmestas erreicht, und das tägliche Ritual begann: Stiefel nachschnüren, Proviant und Wasserflaschen prüfen. Die Entscheidung, die Regenjacken mitzunehmen oder im Bus zu lassen, entfiel. Der Tag war heiß, der Himmel wolkenlos — der Wetterbericht hatte nichts anderes prophezeit.
«Auf nach O Cebreiro», kommandierte Jakob vergnügt. «Achtet auf den Grenzstein eine viertel oder halbe Stunde vor dem Ort, bei ihm beginnt die Region Galicien.»
«Nur sechzehn Kilometer heute», rief Felix und schulterte seinen Rucksack. «Das ist ja ein Klacks, gerade zweimal um die Außenalster.»
Selma machte trotzdem ein besorgtes Gesicht. Der Tag war schon am Vormittag heiß, andererseits betrug der Höhenunterschied zwischen dem Beginn der Wanderung in Ambasmestas und dem Ziel in O Cebreiro nur sechshundert Meter. Eigentlich war das eine ganze Menge, wer den annähernd doppelt so hohen Aufstieg von St -Jean-Pied-de-Port über die Cisa- und Ibañeta-Pässe bewältigt hatte, konnte diesem gelassen entgegensehen. Eigentlich. Bei ihrer ersten Wanderung hatten alle Kälte, Regen und Nebel verflucht, ob es in der Hitze leichter würde, musste sich zeigen. Seit ihn die ersten Pilger erklommen hatten, galt der Aufstieg zum O Cebreiro-Pass und dem gleichnamigen Ort als die kraftzehrendste Etappe des gesamten spanischen Jakobsweges.
«Mach dir keine Sorgen», beruhigte Jakob, «heute könnt ihr unterwegs nicht in den Bus steigen und den Rest mitfahren, aber es sind wirklich nicht sehr viele Kilometer. Der Vergleich mit der platt wie eine Flunder in der Stadt liegenden Außenalster ist zwar übermütig, dafür könnt ihr euch wie immer Zeit lassen. Legt öfter eine Pause ein, Ehrgeiz bringt hier gar nichts. Es gibt einige Dörfer unterwegs und in jedem eine gute Wasserstelle. Geht an keiner einfach vorbei. Mit unserem Picknick wartet Ignacio heute erst am Ziel. Gleich dort, wo der Weg den Ort erreicht, könnt es auch diesmal nicht verfehlen. Es gibt Tische und Bänke unter alten Bäumen, als Zugabe einen traumhaften Ausblick weit in die Täler bis zur südlich gelegenen Sierra de Caurel.»
Der Weg begann gemächlich und fast eben auf einer asphaltierten Landstraße. Ein mit Heu beladenes Fuhrwerk tuckerte vorbei, ein bisschen später wirbelten vier Männer auf Rennrädern Staub auf, die behelmten Köpfe tief über den Lenkern, sie überholten zwei Pilger mit den üblichen schweren Rucksäcken, eine magere schwarz-weiße Katze flitzte über die Fahrbahn — sonst gehörte die Straße wieder ihnen allein. Jenseits eines munteren Flüsschens erstreckten sich wogende Felder und Wiesen, dahinter bedeckten Laubwälder sanft
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