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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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beschützt und sie bis hierher geführt hatten, fast ans Ende der Welt- Wenn sich bei ihrem ersten Blick auf Santiago solch dräuende Wolken am Himmel aufgetürmt litten, mochten manche das als Mahnung empfunden haben, dass vor Ablass und Vergebung der Sünden die Buße stand.
    Auch jetzt knieten zwei betende Pilger am Rand des Platzes, wo sich der Abhang des Plateaus zur Stadt senkte und zwei überlebensgroße, mittelalterlich gekleidete Wallfahrer aus grünpatinierter Bronze, barfüßig, die Wanderstäbe mit Muschel und Kürbisflasche in der Hand, ins Tal hinunterwinkten.
    Dort standen nun auch die Wanderer aus dem fernen Norden. Sie waren still, selbst Felix, sonst doch nie um einen Spott verlegen, schwieg.
    «Schade», sagte Sven endlich, «mit diesem monströsen Neubaukomplex am Abhang ist der erste Blick auf Santiago de Compostela nur halb so beeindruckend.»
    Jakob nickte. «Ja, das ist wirklich schade. Es ist die größte Pilgerherberge der Stadt, mit achthundert Betten auch die größte am camino. Ein Campingplatz findet sich ganz in der Nähe. Beides ist hässlich, aber die Leute müssen irgendwo schlafen. Es sieht nicht nur nach spartanischen Containern und Betonschachteln aus, dafür darf man dort anders als in allen übrigen Herbergen am camino länger als eine Nacht bleiben. Auf euch wartet natürlich wieder ein komfortables, nur ein paar Minuten von der historischen Altstadt entferntes Hotel. Aber zuerst die Pilgermesse. Wir sollten uns jetzt beeilen, sonst kommen wir zu spät. Die puerta del camino, das traditionelle Eingangstor für die Pilger, heben wir uns besser für morgen auf. Außer einem Hinweisschild ist da sowieso nichts mehr zu sehen, es macht also nichts, wenn wir einen anderen Weg in die Stadt nehmen.»
    Der Bus schob sich durch den Feierabendverkehr, auf den Bürgersteigen der zur Altstadt führenden schnurgeraden Straße mischten sich zahlreiche sonnenverbrannte Rucksackträger mit den Bewohnern der Stadt. Ignacio hielt sein schweres Gefährt auf einem Parkplatz nahe der Kathedrale. Die Glocken riefen schon, als die Gruppe Jakob die steinernen Treppen hinauf nacheilte.
    Und dann waren sie angekommen.
    Menschen jeden Alters und vieler Nationen drängten an der hinter der Barockfassade verborgenen Mittelsäule des frühgotischen Ruhmesportals des Pórtico de la Gloria, vorbei in die Kathedrale. Wie seit achthundert Jahren berührten viele Pilger mit der stillen Bitte um Erfüllung ihrer Anliegen das marmorne Kunstwerk, die in Jahrhunderten entstandenen fünf Mulden im harten kristallinen Stein zeugten davon.
    Leo blieb inmitten der vorbeiströmenden Menschen stehen und legte den Kopf in den Nacken. Das ockerfarbene, neunzig Meter lange und schlicht weiße Längstonnengewölbe des Mittelschiffs über den himmelhohen, von schlanken Pfeilern getragenen Rundbögen, die schlichten Simse und Säulenkapitelle wirkten als wohltuender Ausgleich für den glänzenden Reichtum des barocken Hochaltars mit seiner zentralen Jakobusstatue, der vielen Nebenaltäre in den Seitenkapellen, für all das Gold, das Silber, den überreichen Figurenschmuck. Plötzlich fühlte Leo sich allein in dieser großen Menge der Gläubigen und der Neugierigen. Gerade hier, an diesem Ort, den auf Rat, Hilfe oder Absolution Hoffende seit unendlich langer Zeit aufsuchten, ob im sicheren Glauben oder nur mit der Zuversicht, erhört zu werden, erschien ihr dieser gloriose Reichtum nicht angemessen. Sie wusste, dass das falsch war, auch dies war eine Weise der Menschen, ihrem Gott zu huldigen. Gleichwohl ließ sich der Gedanke nicht einfach ausschalten dass die Mächtigen der Kirche, der Adels- und Großbürgerhäuser damit stets auch sich selbst und ihrer Macht gehuldigt hatten. Sicher war das kleinmütig. Die Menschheit überall auf der Welt verdankte der Huldigung ihrer Götter eine Fülle sakraler und mythologischer Kunst, von der auch sie sich berühren ließ, die sie bewunderte und nicht missen wollte. Und was wäre die Welt, gerade auch ihre eigene Welt, ohne die aus tiefer Gläubigkeit entstandene Musik?
    «Nun komm schon, Leo.» Nina zupfte an ihrem Ärmel. «Jakob hält für uns Plätze frei, lange schafft er das nicht. Alle wollen möglichst weit vorne sitzen.»
    Als Leo immer noch zögerte, zog Nina sie einfach durch den Seitengang mit sich, vorbei an den Türen zu den Beichtstühlen, über denen altmodische Schriftzüge darauf hinwiesen, dass die Sünden hier in etlichen europäischen Sprachen bekannt werden

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