Tod Auf Dem Jakobsweg
erinnerte, herrschte eine Art Rush-Hour. Überall standen Grüppchen oder Paare, einige über Stadtpläne gebeugt, andere gaben einander Tipps für die nicht auszulassenden Sehenswürdigkeiten und besten Restaurants. Eine japanische Reisegruppe umlagerte aufgeregt zwitschernd die Rezeption, ihr Leiter versuchte dem extra herbeigeeilten Empfangschef in höflichem Englisch klarzumachen, dass man für seine Gruppe ein Zimmer zu wenig reserviert hatte. Vor den Aufzügen türmten sich Koffer und Reisetaschen, an der Bar erfrischten sich zwei Männer, noch in ihrer Radfahrerkluft, mit einem ersten Bier. Ein vielsprachiger Trubel, wie auf einem Jahrmarkt. Wahrhaftig ein Wechselbad nach der Messe in der Kathedrale und dem Weg durch die Altstadt. Es gefiel Leo, es war so schön normal.
Endlich wurde die Rezeptionstheke für die Mitglieder der deutschen Reisegruppe frei, Leo bekam mit ihrem Schlüssel einen gefalteten Bogen.
«A message for you, Señora Peheim.» Der Empfangschef reichte ihn ihr mit freundlichem Zwinkern.
«Holla», rief Felix und beugte sich über ihre Schulter, er war mindestens so neugierig wie Leo, «schon wieder ein Liebesbrief? Das muss kontrolliert werden.»
Ehe Leo begriff, hatte er die Nachricht schon in der Hand und entfaltet.
Sofort wurde ihm der Bogen entrissen, Leo blitzte ihn wütend an. «Hast du schon mal was von Privatleben und Diskretion gehört?»
Felix hob abwehrend die Hände, presste sie auf sein Herz und verbeugte sich devot. «Das war doch nur Spaß», sagte er. «Nimm’s mir bitte nicht übel.»
Erst in ihrem Zimmer angekommen, zog sie den Zettel aus der Tasche und las. Dann ging sie zum Telefon und wählte Ninas Zimmernummer. «Wir brauchen nicht mehr zu telefonieren», sagte sie, als Nina sich meldete, «ich habe eine Nachricht von Inspektor Obanos bekommen... Ja, an der Rezeption. Er hat dort angerufen und lässt ausrichten, er erwarte uns morgen früh um zehn Uhr in der kleinen Cafeteria hinter der Hotelhalle... Ja, er weiß jetzt, wo Camilla und Fredo wohnen, aber du musst dich noch gedulden, sie sind irgendwo am Meer und kommen erst morgen zurück, gegen Abend... Nein, ich habe nicht mit ihm selbst gesprochen, es war nur eine kurze Nachricht auf einem Blatt Papier... Aber ja, Nina, sie ist ganz bestimmt von ihm. Nur er hat von Jakob die Liste unserer Hotels bekommen, von wem sollte sie sonst sein?»
Kapitel 13
Donnerstag / 12. Tag
Leo und Nina hatten Glück, die Suche nach einer Ausrede blieb ihnen erspart. Die für den Vormittag geplante Stadtführung wurde auf den Nachmittag verschoben, alle zogen es vor, die Stadt zunächst für sich allein zu erkunden. Sie waren nach dem Frühstück in ihre Zimmer zurückgekehrt, Nina, um mit Benedikt und Ruth Siemsen zu telefonieren, Leo, um noch einmal in Ruhe die gefaxten Artikel zu überfliegen. Sie hatte ihr neues Wissen inzwischen mit Nina geteilt. Die Reaktion hatte sie überrascht.
Das sei eine schreckliche Geschichte, hatte Nina gesagt, wirklich schrecklich. Sie höre zum ersten Mal davon, es sei so viele Jahre her, lange bevor sie Benedikt kennengelernt hatte. Damals sei sie noch zur Schule gegangen.
Noch weniger als Leo konnte sie sich vorstellen, Hedda habe Benedikt in die Schlucht gestoßen. Nichts gegen die Stärke schwesterlicher Liebe, doch das halte sie für übertrieben, besonders nach so langer Zeit. Überhaupt — warum Rache an Benedikt? Er habe nur ausgesagt, was er gehört und gesehen habe. Auch empfinde sie Hedda nicht als stoisch genug, nach einer solchen Tat einfach mit der Gruppe weiterzuwandern, als sei nichts geschehen. Bei den Anschlägen auf Benedikt und auf Dietrich könne es einzig um ihre Familie gehen, um Rudolf, dem nichts und niemand so viel bedeute wie die Entscheidungsherrschaft in der Firma.
Davon war Leo nicht überzeugt, doch Ninas Sicherheit — oder war es nur stures Beharren und Blindheit für den Rest der Welt? — erleichterte sie.
Die meisten Zimmer der Gruppe befanden sich entlang eines langen Flurs im achten Stockwerk. Leider blickte Leo von ihrem Fenster und dem winzigen, kaum einem halben Meter breiten Balkon nicht über die Stadt, sie sah nur ebenso hoch aufragende Rückwände von Häusern, die den engen Hinterhof wie einen Schacht umschlossen.
Sie klopfte an Ninas Tür, die öffnete, das Telefon am Ohr. «Ich weiß, es ist noch zu früh», sagte Leo, «aber ich gehe schon in die Halle hinunter.» Beide Aufzüge ließen ewig auf sich warten, schließlich
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