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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Avenida de Juan Carlos I. hielt ein BMW, die Beifahrertür öffnete sich, und eine schlanke Frau mit auffallend langem dunkelbraunem Haar stieg aus. Sie öffnete die hintere Tür, und ein Junge kletterte vom Sitz, er war etwa vier oder fünf Jahre alt, sein Haar blond und strubbelig. Er beugte sich noch einmal in den Wagen, holte ein Köfferchen und ein Stofftier heraus, ein grauer Hund, vielleicht ein Wolf. Nun öffnete sich auch die Fahrertür, eine zweite Frau stieg aus, reckte die Schultern und sagte etwas zu ihrer Begleiterin. Der Mann, der schräg gegenüber am Fenster einer schummerigen Bar saß, konnte es natürlich nicht verstehen, doch mit einem kaum merkbaren Nicken steckte er ein Foto zurück in seine Jacke. Sie waren früh zurückgekommen — eine der Möglichkeiten, die er bedacht hatte.
    Niemand sonst war in dem Sträßchen, die Fenster der Häuser waren mit Läden geschlossen. Sie würden sich erst am Abend wieder öffnen, wie stets in den südlichen Ländern. Auch die Bar war fast leer, nur ein verliebtes Paar saß an einem der Tische nahe der Theke. Sie hatten zuerst beim Fenster gesessen und sich, als er eintrat, in die Ecke zurückgezogen.
    Die beiden Frauen luden nun Reisetaschen und einen Korb voller Spielzeug aus, wie es kleine Kinder am Strand benutzen. Die Frau mit dem langen Haar sah auf ihre Armbanduhr, nahm das Portemonnaie aus ihrer Umhängetasche und gab dem Jungen einen Geldschein. Vielleicht für ein versprochenes Eis, auf der Fahrt von der Küste gegen eine halbe Stunde Ruhe ausgehandelt. Sie sagte etwas, ihre Miene ließ auf eine Ermahnung schließen, der Junge nickte eifrig. Sie klopfte auf ihre Uhr, hob den Finger, wieder nickte er und steckte das Geld in seine Hosentasche.
    Der Mann am Fenster wurde nun noch wachsamer. Gut, dass er vorbereitet war. Er hatte nicht damit gerechnet, wenn sich aber schon jetzt eine Gelegenheit ergab, musste er sie nutzen. Er hatte einen Kunden für seine riskante Ware, der nicht ewig warten würde. Auch war es höchste Zeit, das Land zu verlassen. Er hatte sein Vorhaben für den Trubel auf der Praza do Obradoiro vor der Kathedrale geplant, morgen, wenn das Fest mit Theater- und Volkstanzgruppen aus ganz Spanien begann. Bei einem Unternehmen wie diesem, das er nur am Tag durchführen konnte, zog er es vor, in der Menge zu arbeiten. Wenn sie dicht genug war und ein rascher unauffälliger Rückzug möglich, bedeutete sie ein geringeres Risiko. Es erstaunte ihn immer noch, welche Anonymität ein großes Gedränge sicherte, wie blind die Menschen für alles um sich herum waren, wenn vor ihnen nur ein paar Clowns ihren Unsinn trieben, wenn Lärm und Musik die Ohren für die leiseren, die bedeutenderen Töne taub machten. Er war sicher, auch dieses Kind wünschte sich, auf die Fiesta zu gehen, seine Mutter würde es ihm kaum abschlagen, nicht jetzt. Vielleicht begleitete sie ihn nicht selbst, das war einerlei. Auch die Freundin, die mit ihr aus dem BMW gestiegen war, würde für die halbe nötige Minute wegsehen, wie alle den Hals nach den tanzenden und singenden Frauen und Männern in ihren bunten Trachten recken, nach den Musikern mit den quäkenden baskischen Dudelsäcken, den Tambourins, Trommeln und Flöten. Das würde genügen. Wie sonst auch.
    Da sein Beruf Gründlichkeit und gewissenhafte Vorbereitung auf verschiedene Eventualitäten erforderte, hatte er auch die um die Wohnung liegenden Straßen und Möglichkeiten genau erkundet. Die schmalen Durchgänge, wegen ihrer Dunkelheit nahezu fensterlos, waren sehr vorteilhaft. Wenn der Junge nun, wie er vermutete, ein Eis oder eine Tüte Lakritz kaufen wollte, standen die Chancen gut. Sehr gut sogar. Der einzige Laden, zu dem eine fürsorgliche Mutter ein Kind dieses Alters hier allein gehen ließ, befand sich vom Anfang der Sackgasse nur wenige Schritte entfernt an der Ecke zu dem Durchgang, hinter der sein Wagen wartete. Wenn die Straße so verlassen lag wie gestern um diese Zeit, war es eine Chance. Wenn nicht, kam bald die nächste.
    Als die beiden Frauen, schwer mit ihren Taschen bepackt, in das Haus traten, in dem die Freundin der Mutter wohnte, verließ er die Bar.
    Er hatte fünf Minuten. Höchstens zehn.
    Das Kind winkte den Frauen nach, dann ging es in kleinen hüpfenden Schritten die Gasse hinunter, blieb stehen und blinzelte zu einer steinernen, in der Nische einer Hausecke thronenden Madonna hinauf und hüpfte weiter. Es war wirklich hübsch, der Käufer konnte zufrieden sein.
    Immer noch war

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