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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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vernehmbaren Gesängen zu unterbrechen, gerne mit allgemein bekanntem Liedgut wie Old McDonald had a farm oder We shall overcome. Von anderen Wanderern wurde das nicht immer als erfreulich empfunden. Doch angesichts der zahlreichen, stoisch die schmalen Wege blockierenden, von Hunden mit sehr großen Zähnen umkreisten Schafherden und der Hoffnung, den langen Weg bis zu seinem Ende in der Heil und Heilung versprechenden Kathedrale von Santiago zu bewältigen, mochten gerade diese beiden Lieder einer gewissen Logik folgen. Zweifellos erschollen solcherlei musikalische Darbietungen auch am Abend auf dem Platz vor dem Kloster, allerdings kaum bis spät in die Nacht, auf dem camino begann der Tag mit dem Sonnenaufgang.
    «Pilger stören hier nicht, die bringen Geld», sagte Enno schlau. «In dieser Gegend drücken die Leute ganz andere Probleme. Habt ihr eben in der Gasse die Graffiti an den Häusern gesehen? Ich hab’s doch gesagt: lauter Terroristen. Hier ist Baskenland. Puta Madrid stand da», erklärte er auf Leos fragenden Blick. «Und puta heißt Hure. Es ist immer das Gleiche, wie auf dem Balkan oder im Kaukasus. Hungrige kleine Stämme, aber alle wollen unabhängig sein. Und dann hängen sie sich an den Brüsseler Tropf. Nur dass Tropfen nicht reichen, da müssen unsere Steuergelder rüberrauschen wie eine Sturzflut. Phantasten allesamt. Woher die nur das Geld für ihre Bomben haben? Und was Benedikts fragwürdigen Unfall betrifft — man sollte das wirklich in Erwägung ziehen. Unbedingt. Aber die spanische Polizei wird das kaum kümmern. Für die sind wir nur leichtsinnige Wanderer. Und vor allem: Ausländer.»
    «Ja», murmelte Leo in ihren Kaffeebecher, «außer im eigenen Land ist jeder ein Ausländer.»
    Enno blinzelte irritiert, diese Redewendung gefiel ihm nicht. Er lud eine Portion von den in Streifen geschnittenen Paprikaschoten auf seinen Pappteller, schnitt ein Stück Käse ab und begann, mit wissendem Gesicht, wieder zu kauen. Leo fühlte ihr schlechtes Gewissen pochen. Es wäre einfach, Ennos Weisheiten mit einem unverbindlichen Lächeln zu ignorieren, er war so begierig nach ergebenen Zuhörern. Doch gerade das und der Ton der Selbstgewissheit in seinen kleinen Vorträgen provozierte umgehend ihre Abwehr. Dabei kannte sie sich mit dem Thema Selbstgewissheit selber ziemlich gut aus.
    Die ganze Gruppe hatte sich von der Trägheit des Ortes und der Stunde anstecken lassen. Nur Felix und Hedda unterhielten sich leise, worüber, war nicht zu verstehen, sie hatten sich für die einige Schritte abseits stehende Bank entschieden.
    «Da bahnt sich was an», hatte Enno ihr grinsend die Hände reibend zugeflüstert, «da bahnt sich was an. Ich seh so was sofort. Na, macht ja nichts, wenn die Frau ein paar Jahre älter ist, oder?»
    Caro blätterte in einer alten Zeitung, Sven hielt dösend zurückgelehnt sein Gesicht in die Sonne, alle anderen widmeten sich dem Essen und dem Kaffee, den alle Mitglieder der Gruppe zur Freude des Wirts in der winzigen Bar neben dem Uhrengeschäft erstanden hatten.
    Leo empfand es immer noch als befremdlich, dass zwei fehlten. Benedikt und Nina. Zehn kleine Negerlein, dachte sie und schüttelte unwillig den Kopf. Eindeutig zu viel Phantasie — anders in dem alten Kinderlied würde während dieser Reise ganz gewiss nicht Tag für Tag ein weiteres Mitglied der Gesellschaft fehlen.
    Wer waren diese Leute wirklich? Was wusste sie von ihnen? Konnte jemand Benedikt schon vor der Reise gekannt haben? Dann nur, ohne dass er sich daran erinnerte. Ein zufälliges Wiedersehen so weit von zu Hause wäre kaum ohne laute Begrüßung vonstattengegangen. Oder? Wie wäre es, wenn sie selbst unerwartet eine alte Freundin aus ihrer Studentenzeit wiederträfe? Großes Trara. Großes Weißt-du-noch, Hast-du-jetzt, Bist-du-nun. Im Prinzip. Es gab einige in ihrer Vergangenheit, die wiederzusehen weder Freude noch Neugier auslösen würde, doch es bliebe kein Geheimnis.
    Leo ließ ihren Blick über die Gesichter ihrer Mitreisenden wandern. Es waren durchschnittliche Gesichter, hübsche und weniger hübsche, sympathische und weniger sympathische. Sie hatte in ihnen Gelassenheit und Neugier gesehen, Vergnügen und Ärger, Schrecken, Müdigkeit, auch Verdrießlichkeit, an der Absturzstelle hinter dem Pass Angst. Was sich hinter ihnen verbarg, wusste sie nicht.
    Da waren die beiden älteren Frauen, Edith und Selma, Freundinnen oder Cousinen, das erinnerte sie nicht mehr, es war unerheblich. Beide wohnten

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