Tod Auf Dem Jakobsweg
ihrer Strenge verbarg; eine noch junge Frau mit Lust auf das Leben.
«Komische Vögel», sagte Fritz in Leos Überlegungen hinein. Er blickte, die Augen mit der Rechten gegen das Sonnenlicht beschirmend, zum Turm der Klosterkirche hinauf, auf dessen flachem Dach Störche zwei Nester gebaut hatten. Auch auf der Spitze und der Querstange des vom Dach aufragenden Kreuzes hockten einige der eleganten schwarz-weißen Vögel auf ihren roten Beinen. «Acht Störche? Da kann es sich nicht gemütlich wohnen lassen. Wenn die Glocken mit ihrem Geläut loslegen, platzen denen doch die Eier im Nest.»
«Gar so schlimm wird es nicht sein», wandte Eva ein. Sie zeigte mit ausgestrecktem Finger auf die oberen Turmöffnungen: «Die Glocken sind relativ klein. Ich glaube nicht, dass die den ganzen Turm erbeben lassen.»
«Und die Aussicht von da oben», ergänzte Enno, genüsslich auf einem Stück chorizo kauend, «ist garantiert fabelhaft. Die sehen nicht nur, ob Verwandtenbesuch im Anflug ist, sondern weit über die Landschaft. Nájera», fügte er, endlich mit leerem Mund, hinzu, «kommt aus dem Arabischen und heißt . Man sieht’s ja schon von hier.» In der Tat erhoben sich direkt hinter dem Kloster am Rande der kleinen alten Stadt mager begrünte schroffe Hügelkuppen, an deren Abhängen einige schwarze Löcher Öffnungen zu Höhlen erkennen ließen.
«Die Stadt wurde aber schon 923 durch christliche Ritter von den Mauren zurückerobert», erklärte Edith und klappte ihren Reiseführer zu. «Hier war ja ständig Krieg und Gerangel um die Macht. Seitdem führt der Jakobsweg über diese Route. Vorher verlief er über beschwerlichere Pfade weiter nördlich.»
«Und das Kloster und die Kirche Santa María La Real wurden um 1050 gegründet», fiel ihr Selma eifrig ins Wort. «Die Mauern dort, meine Lieben, sind zum Teil tausend Jahre alt. Ich finde so etwas enorm beeindruckend. Was die alles erlebt haben, möchte ich gerne wissen. Besonders das, was nicht in den Reiseführern steht.»
«Stimmt», Jakob fegte die Brotkrümel von den Knien, warf seinen Teller in die Abfalltüte und schraubte seine Wasserflasche zu, «allerdings ist das meiste, das wir gleich sehen werden, erst in der Renaissance oder später entstanden. Als Napoleons Truppen hier einmarschierten, wurde auch viel zerstört, noch mehr während der jahrzehntelangen, nahezu das ganze 19. Jahrhundert andauernden innerspanischen Machtkämpfe. Da wurden zahlreiche Kirchen verkauft oder aufgelöst, auch in Nájera wurde fleißig geplündert und dieses Kloster als Lagerhaus und Kaserne missbraucht. Eine Zeitlang soll sogar ein Tanzlokal darin untergebracht gewesen sein, bevor nach der Wiederbelebung des Jakobsweges aufwendig restauriert wurde. Eine der wenigen Kostbarkeiten aus romanischer Zeit ist der Sarkophag der im frühen 12. Jahrhundert gestorbenen Königin Bianca von Navarra. Nach unserer Debatte in Eunate wird euch das, was direkt dahinterliegt, stärker interessieren. Ich bin sicher», er schickte ein verschmitztes Lächeln zu Eva, «du kannst uns die Legende von der Klostergründung erzählen.»
«Natürlich kann sie», murmelte Caro aufseufzend, griff nach einem Apfel und begann, ihn mit ihrem Taschenmesser zu zerteilen.
«Irgendwann in der Mitte des 11. Jahrhunderts ging König Garcia auf die Falkenjagd, eine von den Mauren übernommene adelige Liebhaberei», begann Eva unerschüttert. «Als ein Rebhuhn vorbeiflatterte, ließ er den Falken los und folgte ihm durch einen dichten Wald am Rande eines Felsmassivs bis in eine tiefe Höhle und stand plötzlich vor einer Madonnenstatue. Zu Füßen der Madonna waren betörend duftende weiße Lilien ausgebreitet, dort hockte auch der Jagdfalke, friedlich vereint mit dem Rebhuhn. Weil nur göttliche Kräfte Friede zwischen Jäger und Opfer schaffen konnten, befahl Garcia, an dieser Stelle ein Kloster zu errichten, und gründete bald darauf den ersten spanischen Ritterorden. Die Grotte mit der Marienstaue, die Höhle Santa María», schloss Eva, «befindet sich heute noch hinter der Gruft mit den Grabmälern der Fürsten und Könige.»
«Und ist zur Besichtigung freigegeben», erklärte Jakob. «Rápido!», rief er. «Beeilt euch, sonst muss ich für heute das Wandern streichen. Es wird sowieso nur eine kurze Strecke, höchstens drei Stunden.»
Wenngleich es nicht alle als Verheißung von Glück empfanden, am fortgeschrittenen Nachmittag noch drei Stunden über so steile wie felsige Hügel
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